Bildung als Schlüssel für einen selbstbestimmten Lebensweg

Bildung als Schlüssel für einen selbstbestimmten Lebensweg

Tuğçe Kadan (29) ist Mitglied im Vorstand des Global Elternvereins und Lehrerin für die Fächer Englisch und Geschichte an einer städtischen Realschule. Wir haben mit ihr über die Arbeit des Global Elternvereins und die Erfahrungen in den vergangenen Monaten gesprochen, in denen unter anderem ein Corona-Crash-Kurs für Schulkinder angeboten wurde.

Frau Kadan, wer und was verbirgt sich hinter dem Verein „Global Elternverein“?

Der Verein wurde 2004 ursprünglich als eine Elterninitiative gegründet – in erster Linie um qualitativ hochwertige, aber günstige Nachhilfe für sozial benachteiligte Kinder anzubieten. Diese Leitidee wird nun auch vom neuen – seit 2017 aktiven – Vorstand fortgeführt. Inzwischen haben wir neben bezahlbarer (bzw. mit BuT-Gutscheinen kostenloser) Nachhilfe auch weitere kostenfreie Angebote im Programm.

Welche Zielsetzung verfolgen Sie bei Ihrer Arbeit und welche Angebote gibt es hierfür?

Unser größtes Ziel ist es, den Kindern zu verdeutlichen, dass jedes von ihnen seine Träume verwirklichen kann und dass Bildung der Schlüssel hierfür ist.

Regel Nr. 1: Die Kinder müssen daran glauben. Dafür sind wir aber gut gerüstet! Wir alle im Team waren oder sind Studierende über den zweiten Bildungsweg. Die Kinder können sich mit uns identifizieren, weil wir es im Leben auch nicht leicht hatten und für den Status, den wir jetzt haben, hart kämpfen mussten.

Eddie Kayiira, unser Vorstandsvorsitzender, kam als Flüchtlingskind nach Deutschland – jetzt leitet er internationale Projekte, um Kindern in armen Verhältnissen eine Perspektive zu geben.

Unsere Angebote umfassen auch Sprachkurse für Erwachsene, zu unseren vielen erfolgreichen Projekten zählen Ferienworkshops sowie das Antiradikalisierungsprojekt. Hier vermitteln wir sowohl demokratische Werte und ein Toleranzbewusstsein für verschiedene Meinungen als auch die Bedeutung des Ehrenamtes durch den Einsatz von TutorInnen. Der Projektleiter Mehmet Yilmaz hat selbst von diesem Ansatz profitiert. Er kam als Mittelschüler zu uns, arbeitete sich „hoch“, fing das Studieren an, wurde Nachhilfelehrer und schließlich Projektleiter, um wiederum Kindern in ähnlicher Situation, in der er früher war, zu helfen.

Ich selbst kam erst mit 10 Jahren nach Deutschland. Als Hauptschülerin habe ich mich immer geweigert, eine Ausbildungsstelle zu suchen, weil ich studieren wollte. Meine Lehrkräfte haben nicht wirklich daran geglaubt. Ich war hartnäckig, vor allem um ihnen das Gegenteil zu beweisen! Nun bin ich Lehrerin und sage meinen Schülerinnen und Schülern immer, dass sie alles schaffen können, wenn sie es wirklich wollen und dass ich sie stets dabei unterstützen werde.

Der „Corona-Crash-Kurs“ als spezielles Programm für die Sommerferien, um Lernrückstände aufzuholen – wie wurde es aufgesetzt und angenommen?

In den Sommerferien haben wir Schulkindern einen kostenlosen Corona-Crashkurs angeboten. Hierfür haben wir ein Rundschreiben an alle Nürnberger Schulen (mit Ausnahme der Grundschulen) geschickt. Unsere vorrangige Absicht war es, ihnen ihre Ängste vor dem kommenden Schuljahr zu nehmen und mit ihnen den bis dahin erarbeiteten und den aufgrund des Lockdowns fehlenden Schulstoff zu üben. Zu unserer Überraschung haben wir auf Anhieb über 40 Anmeldungen erhalten. Die Kinder und Eltern waren aufgrund ihrer Unsicherheit, was auf sie zukommt, sehr dankbar für das Angebot.

Wie liefen diese Kurse und wie geht´s nun weiter?

Als nächstes werden wir das Projekt „Schule 2.0 umsetzen, um die Kinder auch im laufenden Schuljahr weiter zu unterstützen. Anlass hierfür war, dass wir im Kurs festgestellt haben, dass einige Themen aufgrund des fehlenden Präsenzunterrichts bei vielen Kindern noch „nicht saßen“. Durch viel Übung haben wir versucht, diese Lücken ansatzweise zu schließen. Die Ergebnisse der durchgeführten Tests haben gezeigt, dass sich die Kinder im Allgemeinen verbessert haben. Sie haben auch einen Feedbackbogen von uns mitbekommen, der noch einmal aufzeigt, welche Themenbereiche geübt wurden, welche Noten sie im gesamten Kurs bekommen haben, wo noch Übungsbedarf vorliegt, etc.

Welche positiven Erfahrungen wurden in der Corona-Zeit gemacht und wo liegen die Probleme?

Unsere erste Maßnahme war die Skype-Nachhilfe, die wir sehr flexibel gleich am ersten Lockdown-Tag umsetzen konnten. Insgesamt kam sie sehr gut bei unseren TeilnehmerInnen und deren Eltern an. Sie waren dankbar, dass ihnen jemand bei den Wochenplänen helfend zur Seite stand. Auch da haben wir festgestellt, dass viele aus finanziellen Gründen nicht die Möglichkeit hatten, die Wochenpläne auszudrucken oder am PC zu erarbeiten. Die Schulen boten zwar an, an Bedürftige Laptops auszuleihen, doch in Brennpunktvierteln gibt es leider mehr Bedarf an Laptops als die Schulen zur Verfügung stellen können.

Ihre Wünsche an Politik und Verwaltung?

Wir sind uns bewusst, dass die städtische Verwaltung sowie alle PolitikerInnen ihr Bestes tun, um den Kindern entgegenzukommen. Hier wünschen wir uns (auch weiterhin) organisatorische und finanzielle Unterstützung und vor allem die Offenheit von anderen Bildungseinrichtungen für Kooperationen, um alle Kinder, die unsere Hilfe brauchen, zu erreichen.


Weitere Informationen zum Global Elternverein finden Sie unter www.global-elternverein.de

Titelfoto: © Tuğçe Kadan.

Schule und Digitalisierung

Schule und Digitalisierung

Ohne Zweifel hat die Digitalisierung der Schulbildung infolge der Corona-bedingten Schulschließungen in Bayern ab dem 16. März 2020 an besonderer Bedeutung gewonnen und auch einen Schub erfahren. Dass der digitale Unterricht für alle Beteiligten eine Herausforderung darstellt, ist unbestritten. Der aktuellste Nationale Bildungsbericht beschreibt die Komplexität, die die Digitalisierung des Unterrichts mit sich bringt. Der Einsatz digitaler Medien sei bisher, so der Bericht, eher als Hilfsmittel zur Vermittlung von Informationen und weniger zur Unterrichtung und zum Austausch von Lerninhalten genutzt worden. Auch sei eine ausreichende technische Infrastruktur zwar eine zentrale Voraussetzung für die Verwendung digitaler Medien, der Zugang zu diesen sei jedoch auch von Merkmalen, wie der sozialen Herkunft, abhängig. Weiter hänge der Erfolg des Einsatzes vor allem von einem didaktisch sinnvollen und kritisch reflektierten Einsatz digitaler Technologien ab. Digitalisierungsbezogene Inhalte spielten in der Aus- und Fortbildung des pädagogischen Personals aber bislang eher eine untergeordnete Rolle, so der Nationale Bildungsbericht. Erschienen ist der Bericht im Juni dieses Jahres und bezieht sich in seiner Datenbasis auf die „Vor-Corona-Zeit“.

In Zeiten von (partiellen) Schulschließungen stellen die digitalen Technologien eine der wenigen Möglichkeiten dar, um Kontakt von Lehrkräften und Schülerinnen und Schüler herzustellen und Unterricht stattfinden zu lassen. Zielten bisherige Medienkonzepte und -strategien eher auf die Ausstattung der Schulen mit technischen Geräten für den unterrichtsbegleitenden Betrieb vor Ort ab, ging es plötzlich um die Nutzung digitaler Technik, um Distanz zu überwinden. Entsprechende Hardware und Software für Schülerinnen und Schüler für den Gebrauch zuhause gerieten in den Fokus, ebenso die Nutzungsmöglichkeiten von WLAN und Druckern.

Laut der Darstellung im Nationalen Bildungsbericht zur Verfügbarkeit technischer Geräte bei den Jugendlichen in Deutschland, sind für den Fernunterricht geeignete Gerätschaften, wie PC oder Tablet, nicht für alle verfügbar. Unterschiede zeigen sich nach Geschlecht, Alter und besuchter Schulart. Demnach verfügen Mädchen, Jüngere und Schülerinnen und Schüler von Mittel- und Realschulen im geringeren Maße über PCs.

Verfügbarkeit von Informations- und Kommunikationstechnik 12- bis 19-jähriger Jugendlicher 2018 nach Geschlecht und Altersgruppen (in %)

1) Angaben der Hauperzieherinnen und Haupterzieher.
Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.) (2020). Bildung in Deutschland 2020. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. Bielefeld: W. Bertelsmann; Sachdaten: mpfs, JIM-Studie; eigene Darstellung, Auszug der Originaltabelle.

Auch die technische Ausstattung der Lehrkräfte musste berücksichtigt werden und deren Qualifizierung im Umgang mit Lern-Management-Programmen.

Durch das Team Digitale Schule reagierte die Stadt Nürnberg auf die Situation. Während der letzten Monate schulte das städtische Institut für Pädagogik und Schulpsychologie Nürnberg (IPSN) insgesamt über 2000 Lehrkräfte. Hier ging es vor allem um den technischen Umgang mit der Software Microsoft Teams, die allen Schulen als digitales Kommunikationsinstrument zur Verfügung gestellt wurde. Um den Zugang für alle Kinder und Jugendlichen zur schulischen Bildung zu ermöglichen, wurden durch die Stadt Nürnberg zudem bislang etwa 300 mobile Leihgeräte zur Verfügung gestellt. Bis Ende des Jahres werden in Nürnberg aus den Sondermitteln des Bundes über die Bayerische Staatsregierung insgesamt 6000 Tablets beschafft. Momentan laufen Bedarfsabfragungen über die Schulen. In den Schulen, die sich bis zum 30. Juni an der Abfrage beteiligt hatten, benötigen etwa 16 % der Schülerschaft ein Leihgerät. Zwischen den Schularten zeichnen sich Unterschiede ab: In den Gymnasien ist demnach der Bedarf niedriger, in den Mittelschulen, wo bis zu einem Drittel der Schülerinnen und Schüler ein digitales Endgerät benötigen, höher.

Für das anstehende Schuljahr ist der Regelbetrieb, also Präsenzunterricht für alle Schülerinnen und Schüler unter Einhaltung von Hygienevorschriften vorgesehen. Abhängig vom örtlichen Infektionsgeschehen zieht das Kultusministerium auch andere Szenarien in Erwägung. Darunter fallen partielle Schulschließungen bei denen Präsenz- und Distanzunterricht Hand in Hand gingen. Hier wäre die digitale Ausstattung von besonderer Bedeutung, damit Lehrkräfte technisch ausgestattet, aber auch didaktisch-pädagogisch geschult in direkten Austausch mit den Schülerinnen und Schülern treten können. Unabhängig von engagierten Lehrkräften, der Schulart oder Schule sollen Schülerinnen und Schüler gleich welcher sozialen Herkunft und – vor allem im Fall von Geflüchteten – der Wohn- und Ausstattungssituation, ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können.

Titelfoto: © Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V. | Ort: zdi-Schülerlabor coolMINT.paderborn; Bildausschnitt.

Aktivieren statt Abwarten

Aktivieren statt Abwarten

Was ist jetzt zu tun, um „Corona-Effekte“ im Bereich der Ausbildung zu vermeiden?

Im letzten Artikel wurde festgestellt, dass die aktuelle Grundstimmung des Ausbildungsmarkts von „Abwarten“ und „Zögern“ geprägt ist. Gerade jetzt sind deshalb die Akteure der Berufsbildung in Politik und Praxis gefragt, aktiv zu werden: um zum einen die derzeitigen Schulabgänger/-innen rechtzeitig und passgenau in Ausbildung zu bringen. Und um zum anderen präventiv Maßnahmen zu ergreifen, den nächsten (und übernächsten) Absolvent/-innenjahrgang gut auf den Übergang in die Ausbildung vorzubereiten.

Entsprechende Koalitionen sind auf Bundes- und Landesebene bereits geschmiedet oder im Aufbau (z.B. mit der „Allianz für Aus- und Weiterbildung 2019 – 2021“). In Nürnberg hat sich die neugegründete „Task Force Corona“ das Thema Ausbildungssicherung auf die Fahnen geschrieben und setzt dies aktuell mit der Kampagne „#Ausbildung jetzt“ um. Auch die Akteure in den vorhandenen Netzwerken (wie z.B. im Trägerkreis Übergangsmanagement und den Gremien der Jugendberufsagentur) wird über notwendige Maßnahmen diskutiert. Neben bereits verabschiedeten staatlichen Unterstützungen zur Stabilisierung und Intensivierung des Ausbildungsplatzangebots und der weiterhin dringend notwendigen Umsetzung des Digitalpakts in Mittel- und Berufsschulen, sollten auf kommunaler Ebene gemeinsam Aktionen geplant und ergriffen werden:

  • Unsicherheiten abbauen: Kommunikation und Information auf allen Ebenen
  • Jugendliche, ihre Eltern, Lehrkräfte und Peers brauchen die aktuelle Information über das Ausbildungsstellenangebot in den verschiedenen Branchen. (Online-) Vermittlungs- und Lehrstellen-börsen bieten hier eine Übersicht, Berufsberatung und Ausbildungsakquisition unterstützen bei der Auswahl. Berichterstattung in Print und Social Media (über freie Ausbildungsplätze, Branchen/Firmen, die Auszubildende suchen, Erfolgsberichte von jungen Menschen, die jetzt einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen haben) kann Eltern und Jugendliche erreichen, die bislang keinen Zugang zu einer beratenden Organisation haben.
  • Motivation aufbauen und Kontakt herstellen
  • Junge Menschen, die grundsätzlich oder aufgrund eines aktuellen Unsicherheitsgefühls nicht von sich aus aktiv werden (können), brauchen den Kontakt zu einer unmittelbaren Ansprechperson. Lehrkräfte und andere Vertrauenspersonen der jungen Menschen wie z.B. die Jugendsozialarbeiter/-innen an Schulen sollten die jungen Menschen direkt auf die Expert/-innen (der Berufsberatung, des Jobcenters oder der Ausbildungsakquisiteure) verweisen – im Sinne eines aktivierenden Apells „Lass uns dort mal zusammen anrufen“.
  • Alternativen (den „Plan B“) vermitteln
  • Gerade jetzt könnte der „erste Wunsch“ von Jugendlichen hinsichtlich des Ausbildungsberufs schwieriger zu erfüllen sein. Umso wichtiger ist die Beratung zu Alternativen, d.h. Ausbildungen in verwandten Berufen oder vollschulische Ausbildungen und Übergangsmaßnahmen. Das Team „Berufsschulberatung“ (s. Infokasten) berät z.B. zu Anschlussmaßnahmen und zu den umfangreichen Ausbildungsmöglichkeiten an den kommunalen Berufsschulen.
  • Flexible Angebote planen
  • Im Zieldilemma zwischen Gesundheitsschutz und gelingendem Übergangsmanagement brauchen alle (staatlichen, kommunalen und privaten) Akteure ausreichend Handlungsspielraum, um im Sommer und im folgenden Schuljahr 20/21 flexibel Angebote planen und gestalten zu können. Angebote der Berufsorientierung sollten vorrausschauend mit Alternativen zum direkten persönlichem Kontakt geplant werden, um weitere Absagen und erneute Schließungen zu verhindern.
  • Praktikum als Praxiserfahrung: wichtiger denn je
  • Insbesondere für Schülerinnen und Schüler, die nicht die Chance hatten bzw. haben werden, an umfangreicheren Berufsorientierungsprogrammen teilzunehmen, hat das Schülerpraktikum eine zentrale Bedeutung. Es bleibt das Schlüsselelement, um einen authentischen Eindruck von Berufen und Branchen und damit eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu erhalten. Hier ist schulseitig darüber nachzudenken, die Praktikumszeiträume zu flexibilisieren und individuelle Praktika auch während der Schulzeit zu ermöglichen. Betriebe, die Praktikant/-innen einstellen würden, können direkt Kontakt mit den Schulen (Schulleitung, Berufsorientierungs-Beauftragte) aufnehmen: das Konzept des „Qualifizierten Praktikums“, das als gemeinsame Initiative des städtischen Bildungsbüros und dem Staatlichen Schulamt im Schuljahr 20/21 an allen Schulen eingeführt wird, liefert gute Grundlagen für die abgestimmte Zusammenarbeit von Schule und Betrieb.

Links:

zur Übersicht: „geöffnete“ Beratungsangebote:
https://uebergangsmanagement.nuernberg.de/aktuelle-meldung/wir-sind-fuer-euch-da-beratungs-und-unterstuetzungsangebote-im-uebergang.html

zur Datenbank „Übergang Schule-Beruf Nürnberg“ (mit allen alternativen Möglichkeiten zur dualen Ausbildung, u.a. allen Ausbildungen der Berufsfachschulen):
www.uebergangsmanagement.nuernberg.de

Team Berufsschulberatung (bei SCHLAU):
https://www.schlau.nuernberg.de/berufsschulberatung.html

zur Infokampagne #Ausbildung jetzt https:
www.nuernberg.de/internet/wirtschaft/ausbildungjetzt.html

zu den Ausbildungsprämien:
https://www.ihk-nuernberg.de/de/corona-virus/corona-virus-regelungen-ihk-pruefungen/corona-virus-foerdermoeglichkeiten-in-der-ausbildung-bundesprogramm-ausbildungs/

zu den Lehrstellenbörsen der Kammern:
https://www.ihk-lehrstellenboerse.de/
https://www.hwk-mittelfranken.de/artikel/lehrstellenboerse-und-lehrstellenradar-75,1592,4308.html

Sprachbildung für alle und von Anfang an

Sprachbildung für alle und von Anfang an

Die Sprachbildung Erwachsener ist Sache des Bundes, genauer des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ergänzend sind in Nürnberg zahlreiche Anbieter niedrigschwelliger Sprachkurse aktiv. Dennoch gibt es immer wieder Personen und Personengruppen, die durchs Raster fallen und keine bedarfsgerechte Sprachbildung erhalten. Um die Lücken im System zuverlässig zu stopfen und alle vorhandenen Ressourcen sinnvoll zu bündeln, hat das Bildungsbüro gemeinsam mit zahlreichen inner- und außerstädtischen Akteuren das kommunale Programm Deutschspracherwerb ins Leben gerufen. Erste Ergebnisse liegen nun vor.

Das Pilotvorhaben zum kommunalen Programm Deutschspracherwerb wurde am 23. Oktober 2019 vom Stadtrat einstimmig beschlossen und wird seither umgesetzt. Ziel ist es, in Nürnberg ein kommunales System zu etablieren, das in der Lage ist, flexibel auf sich ändernde Bedarfe zu reagieren und die Lücken zu schließen, die das Sprachbildungssystem des Bundes läßt. Im Mittelpunkt steht der Aufbau tragfähiger Strukturen einer systematischen Erstberatung und Weiterleitung von Neuzugewanderten zu passenden Spracherwerbsangeboten vor Ort. Der Einsatz kommunaler Ressourcen kommt immer nur dann infrage, wenn keine anderen Angebote und Strukturen zur Verfügung stehen (Subsidiaritätsprinzip). Personen, die über das Angebot des BAMF nicht versorgt werden, können möglicherweise in ein niedrigschwelliges Sprachangebot vermittelt werden. Erst als letzte Möglichkeit soll auf städtisch finanzierte Sprachbildungsangebote zurückgegriffen werden.
Auf eigene Initiative, auf Empfehlung von Migrationsberatungsstellen, Ehrenamtlichen oder Bekannten kommen Menschen, die nach einem Sprachkurs suchen, in die ZAM-Beratung, der Beratungseinheit der Zentralen Anlaufstelle Migration. Hier erhalten sie Auskunft zu allen integrationsrelevanten Themen. Seit Beginn des Pilotvorhabens spielt das Thema Sprache jedoch eine herausgehobene Rolle, vor allem, weil die ZAM-Beratung die zentrale Stelle ist, die über die Aufnahme in städtisch finanzierte Sprachkurse entscheidet. Voraussetzung ist, dass die Personen in Nürnberg wohnhaft, zum Besitz eines Nürnberg-Passes berechtigt und nicht zu einem Sprachkurs des BAMF zugelassen sind. Von dort aus geht es in die Test- und Meldestelle (TuM), in der Mitarbeiter/-innen des Bildungszentrums die sprachlichen Vorkenntnisse testen. Auf Grundlage dieser Einstufung kommen die Getesteten in einen städtisch finanzierten Kurs. Häufiger jedoch hilft das im Pilotvorhaben entwickelte Beratungssystem, Ratsuchende in passende Kurse anderer Anbieter zu empfehlen.
Personen, die getestet wurden, kommen auf Grundlage dieser Einstufung in einen städtisch finanzierten Kurs. Häufiger jedoch hilft das im Pilotvorhaben entwickelte Beratungssystem, Ratsuchende in passende Kurse anderer Anbieter zu empfehlen.
Die Abbildung ermöglicht einen detaillierten Blick auf die Teilnehmendenzahlen bis zu dem Zeitpunkt, als die Corona-Pandemie auch das Pilotvorhaben vorübergehend stark einschränkte.

Teilnehmende in Beratungen, Testungen und Sprachkursen, Januar bis März 2020

Anmerkung: Die Anzahl der Teilnehmenden in Verfahren Verpflichtungen Sozialamtî definiert sich über die Anzahl der in der BAMF-TuM durch das Sozialamt zum Integrationskurs verpflichteten Personen. Es ist nicht auszuschlieflen, dass einzelne Personen auch ohne das neue Verfahren verpflichtet wurden. Quelle: Stadt Nürnberg, Bildungsbüro.

Deutlich wird, dass bei weitem nicht alle Personen in städtisch finanzierte Kurse einmündeten. So konnte der Großteil der Ratsuchenden (199 Personen) anderweitig, zum Beispiel durch Integrationskurse, versorgt werden. 93 Personen und damit etwa ein Drittel (35 %) wurde durch gemeinsam mit den Partnern entwickelte Verfahren in BAMF- Sprachkurse vermittelt. So arbeiten beispielsweise Sozialamt, Agentur für Arbeit, ZAM-Beratung und Bildungsbüro in enger Abstimmung zusammen, um bestimmte Gruppen, die mit dem Ausländerbeschäftigungsförderungsgesetz 2019 neu zu einem Integrations- oder Berufssprachkurs berechtig sind, zügig in die Kurse des BAMF zu lotsen. Denn die Betroffenen wissen oft nichts von ihrem neuen Recht. Auch ist häufig unklar, was zu tun ist, damit man als „arbeitsmarktnah“ gilt, ein ebenfalls neu geschaffenes Zulassungskriterium. Das städtische Programm trägt mit diesen neu entwickelten Beratungsstrukturen auch messbar zu einem verbesserten Zugang zu den bereits bestehenden Sprachkursen des Bundes bei.
55 Personen und damit 15,9 % der Beratenen wurde ein Sprachtest in der TuM-Stadt und im Anschluss die Teilnahme an städtisch finanzierten Sprachkursplätzen ermöglicht. 47 von ihnen nahmen tatsächlich am Sprachtest teil und wurden in Kurse beim Bildungszentrum (38) und bei der NOA (fünf im Vorkurs, drei im Kinderbetreuungskurs) zugelassen. Fast alle Personen, die eingeladen wurden, erschienen auch am Testtag. Das zeigt zum einen die grundsätzlich hohe Motivation der Zielgruppe zur Teilnahme. Zum anderen wird daran deutlich, dass die Beratungsarbeit der ZAM-Beratung Vertrauen aufbauen konnte und die einfach gehaltenen, unbürokratischen Verfahren wirken.


Titelfoto: © Maja Fischer.

Abwarten ist die falsche Devise!

Abwarten ist die falsche Devise!

Lage am Ausbildungsmarkt wird schwieriger 

Meldungen zum Ausbildungsmarkt waren in den letzten Jahren von einer positiven Grundstimmung geprägt: auch wenn der Übergang in die Ausbildung für manche Zielgruppen immer noch schwierig war, bestand ein großer Überhang an offenen Ausbildungsstellen und insbesondere das Handwerk suchte oft „händeringend“ nach Auszubildenden. 

Nicht überraschend wirkt sich auch hier die Corona-Krise negativ aus: aktuelle Daten zum Arbeitsmarkt zeigen einen deutlichen Einbruch auf allen Ebenen, der die bereits vorhandenen konjunkturellen Eintrübungen verstärkt.

In der Stadt Nürnberg wurden im Vergleich zum Vorjahr von Januar bis Mai 2020 769 Ausbildungsstellen weniger bei der Arbeitsagentur gemeldet (das sind -18,0 %). Die Anzahl der ausbildungssuchend gemeldeten Bewerber/-innen ist dagegen um 76 (+2,7 %) gestiegen.
Zum Mai galten 212 Bewerber/-innen, als „unversorgt“, damit stieg der Anteil der „unversorgten Bewerber“ an allen Bewerber/-innen im Vergleich zum Mai 2019 von 52,3 % auf 58,3 %, der Anteil der Bewerber/-innen, die direkt in eine Ausbildung eingemündet sind, sank auf 16,5 %.

Bezieht man die Gesamtzahl der gemeldeten Berufsausbildungsstellen auf die Gesamtzahl der gemeldeten Bewerber/-innen, stehen pro Bewerber/in rechnerisch 1,3 Ausbildungsstellen zur Verfügung. Im Vorjahr 2019 lag dieser Indikator noch bei 1,6. Gleichzeitig sank die Quote der „unbesetzten Berufsausbildungsstellen je unversorgtem Bewerber“ von 1,5 auf 1,1.

Entwicklung der gemeldeten Bewerber/-innen und gemeldeten Ausbildungsstellen, 2018/19 und 2019/20 (jeweils Oktober bis Mai)

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit.

Trotzdem spricht die Arbeitsagentur Nürnberg im Gesamtblick noch von einer „komfortablen Situation für Bewerberinnen und Bewerber in den meisten Branchen“ (Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Nürnberg, Renate Häublein in NN).   Auch die Kammern in Mittelfranken schauen noch weitgehend optimistisch auf das kommende Ausbildungsjahr. Sie rekurrieren auf den weiter vorhandenen Fachkräftemangel in zahlreichen Branchen und erwarten, dass der Abschluss zahlreicher Ausbildungsverträgen zeitlich nach hinten verschoben werden wird. (Stefan Kastner für die IHK Mittelfranken in NN vom 26.06.20).,
In der Differenzierung nach Branchen wird dabei deutlich, dass von der aktuellen Krise gerade Betriebe betroffen sind, die Ausbildungsplätze für Mittelschülerinnen und Mittelschüler anbieten wie z.B. in der Hotel- und Gastronomiebranche oder im Handwerk. So gaben in der April-Umfrage des Zentralverbands des deutschen Handwerks 25 Prozent der befragten Betriebe an, dass sie im Herbst weniger Ausbildungsplätze anbieten wollen.

Fallen diese weg, haben diese Jugendlichen deutlich weniger Optionen für alternative Bildungswege als junge Menschen mit höheren Abschlüssen.  

 Zusammenfassend beschreibt das Bundesinstitut für Berufsbildung die aktuelle Situation mit den Begriffen „Zurückhaltung“ (der Betriebe) und „Abwarten“ (der Bewerber). 

Übergang im nächsten Jahr gefährdet? 

In der Folge der Schulschließungen sind zahlreiche Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Berufsorientierung weggefallen. Während das städtische Übergangsmanagement SCHLAU die angemeldeten Schülerinnen und Schüler alternativ (in erster Linie telefonisch) weiter betreuen konnte, mussten die schulischen Förderangebote von Quapo deutlich eingeschränkt werden. Auch die Unterstützungsleistung des Projekts“ Perspektiven im Quartier“ musste in alternativer Form und dadurch mit deutlich höheren Zugangsschwierigkeiten umgesetzt werden. Ähnlich erschwert gestaltete sich die Beratungsarbeit der Berufseinstiegsbegleiter/-innen sowie der Fachkräfte der Jugendsozialarbeit an Schulen. 

Noch viel einschneidender waren die Maßnahmen im Bereich der schulischen Angebote, so konnten seit Schulschließung keinerlei Berufsorientierungsmodule externer Träger durchgeführt werden. Die Angebote Potentialanalyse sowie die Werkstatt-Tage für die siebten und achten Jahrgangsstufen mussten, genauso wie die Sprechstunden der Berufsberatung der Agentur für Arbeit, komplett eingestellt werden. Und obwohl viele Betriebe weiterhin Praktikant/-innen aufnehmen wollen, wurden im Regierungsbezirk Mittelfranken auch alle Schüler-Pflichtpraktika grundsätzlich abgesagt. 

Damit bleibt ein Großteil der Mittelschülerinnen und -schüler der derzeit siebten und achten Jahrgangsstufen noch ohne konkrete berufsorientierende Erfahrung. Sogar wenn im nächsten Schuljahr eine durchgängige Präsenz in den Schulen wieder möglich sein sollte, werden diese Angebote nur zu einem geringen Teil nachgeholt werden können. So wird z.B. im Rahmen des BO-Programms angestrebt, die Werkstatt-Tage für die wenigen Schülerinnen und Schüler nachzuholen, die in diesem Schuljahr noch eine Potentialanalyse absolvieren konnten. Die überwiegende Mehrheit der Schülerschaft wird dann allerdings noch keinerlei Möglichkeit gehabt haben, Berufe genauer zu erkunden und sich praktisch in einem Berufsfeld auszuprobieren. 

Die Erfahrung zeigt, dass dies gerade für diejenigen jungen Menschen, die nur schwer eigene Ressourcen aktivieren können und auf Motivation und Anleitung von Fachkräften angewiesen sind, eine deutliche Erschwernis für den Übergang in eine Ausbildung darstellt. Damit würde sich die Tatsache, dass die Auswirkungen der Corona-Krise vorhandene Bildungsungleichheiten systematisch verstärken noch ausweiten. 

Was ist jetzt zu tun, um allen jungen Menschen weiterhin die Chance zu geben, nach einer Orientierungsphase eine abgewogene Berufswahlentscheidung zu treffen, die nicht vorschnell auf der Wahrnehmung eines als vermeintlich krisenhaften Ausbildungsmarkts basiert, sondern sich vor allem von der Kenntnis der eigenen Fähigkeiten und Potenziale leiten lässt? 

Vorschläge, wie Akteure in Nürnberg gemeinsam gegensteuern können, lesen Sie im nächsten Beitrag.

Titelfoto: © Blechwunder Dellentechnik Rüdiger Spies.


Bundesagentur für Arbeit, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung. Berichte: Arbeitsmarkt kompakt – Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt, Nürnberg, Mai 2020.

Tobias Maier, Auswirkungen der „Corona-Krise“ auf die duale Berufsausbildung, BiBB-Preprint, Version 1.0, Bundesinstitut für Berufsbildung (Hg.), Mai 2020.