Access berät und unterstützt Menschen mit Behinderungen bei der Inklusion ins Arbeits- und Berufsleben. Dazu arbeitet der Fachdienst Access mit Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes, Schulen, Arbeitsagenturen, Jobcentern und Werkstätten für behinderte Menschen zusammen. Access initiiert immer wieder auch neue Projekte, um Strukturen zu verbessern. Erfahrungen in der beruflichen Inklusion bestehen bereits seit 1993. Andrea Seeger ist Geschäftsführerin der ACCESS – Inklusion im Arbeitsleben gemeinnützige GmbH und spricht im Interview mit dem Bildungsbüro über Unterstützungsangebote für Menschen mit Behinderung und ihre Erfahrungen bei der Eingliederung von Menschen in eine regelmäßige Arbeit.
Frau Seeger, „Inklusion“ ist doch mittlerweile in aller Munde. Ist es da nicht „überholt“ noch spezielle Angebote für Menschen mit Behinderung zu machen?
„Inklusion ist in aller Munde?“ Das nehme ich nicht so wahr. Aus meiner Erfahrung trifft diese Aussage für die professionelle Welt zu. Politisch Verantwortliche, Kostenträger und Menschen, die in der sogenannten Behindertenhilfe arbeiten, wissen über Inklusion grundsätzlich Bescheid. Doch selbst hier wird das Thema nicht immer gelebt. Wie lässt es sich sonst erklären, dass es zum Beispiel immer noch sehr gute stationäre Strukturen gibt und alternative Angebote noch wenig entwickelt sind?!
Von den Bürger*innen wird Inklusion eher im Zusammenhang mit Menschen mit Fluchthintergrund verstanden, als mit Menschen mit Behinderungen.
Außerdem muss noch mehr klar werden, dass Inklusion gemäß der Behindertenrechtskonvention meint, auch die Umgebungsbedingungen auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen mit Behinderungen anzupassen. Es ist also weiterhin eine aktive Arbeit, hier zu sensibilisieren und zu motivieren. Access hat in diesem Prozess eine Steuerungsfunktion, indem wir gemeinsam mit allen Beteiligten Lösungen erarbeiten, damit alle davon einen Nutzen haben und Inklusion tatsächlich gelingt. Es ist tagtäglich eine herausfordernde und spannende Aufgabe.
Wie vielen Menschen mit Bedarfen können Sie ein konkretes Unterstützungsangebot machen und wie kommen die Menschen zu Ihnen?
Wir unterstützen derzeit ca. 300 Menschen mit Behinderungen/Beeinträchtigungen und besonderen Unterstützungsbedarfen im Arbeitsleben Fuß zu fassen. Die Agentur für Arbeit und die Jobcenter arbeiten eng mit uns zusammen. Außerdem haben wir Kooperationsvereinbarungen mit Schulen und mit Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) in der Region. Zusätzlich können sich auch Betroffene und ihre Angehörigen direkt an uns wenden und wir suchen dann aktiv nach Möglichkeiten einer Zusammenarbeit. Wenn es nach Abschluss des Arbeitsvertrags um Arbeitsplatzsicherung im Rahmen einer Berufsbegleitung geht, können wir als Kooperationspartnerin des Integrationsfachdienstes über das Inklusionsamt beauftragt werden.
Access betreut u.a. Jugendliche mit besonderen Bedarfen am Übergang Schule-Ausbildung. Der ist für viele junge Menschen – mitten in der Pubertät – ein schwieriger Schritt. Was hilft Ihrer Erfahrung nach hier am meisten?
Ich glaube, dass uns hier eine sehr wichtige Rolle in der Begleitung der Jugendlichen zukommt: Zunächst ist es immer der grundsätzliche Glaube, dass jede*r Fähigkeiten und Entwicklungspotentiale hat. So gelingt es, dass das Selbstvertrauen der Schüler*innen wachsen kann. Sie dürfen sich ausprobieren in realen betrieblichen Situationen durch Langzeitpraktika. Sie können sich so in neuen Rollen erproben und erleben, dass sie wichtige Arbeit tun, für die sie bestenfalls Lob und Anerkennung bekommen. Wir versuchen auch, die Schüler*innen dahingehend zu sensibilisieren, dass es nicht schlimm ist, Fehler zu machen, sondern daraus zu lernen. Niemand ist perfekt! Die Praktika werden sehr eng durch unsere Jobcoaches im Betrieb begleitet. Unsere Teilnehmenden erleben eine wohlwollende und unterstützende Begleitung, die sie ernst nimmt. Ein wöchentlicher Austausch mit den Kolleg*innen und Verantwortlichen in den Betrieben ist ebenso wichtig, damit gemeinsam daran gearbeitet werden kann, wie eine dauerhafte Inklusion als Ausbildungs-/Arbeitsverhältnis forciert werden kann.
Auch für Erwachsene unterstützen Sie eine „Eingliederung“ in eine regelmäßige Beschäftigung. Wo sind hier erfahrungsgemäß die Knackpunkte? Was brauchen Menschen mit Handicap, um möglichst selbstbestimmt einer sinnstiftenden Arbeit nachgehen zu können?
Wenn Erwachsene mit Beeinträchtigungen zu uns kommen, bringen diese meist bereits einen großen Rucksack an Erfahrungen mit. Oft liegen hier auch viele Misserfolgserlebnisse vor, die Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl haben. In unserer Arbeit geht es zu Beginn erst einmal darum, mit unseren Teilnehmer*innen Schätze zu heben, im Sinne von Kompetenzen, Fähigkeiten und Ressourcen. Wir erfassen auch informell Erlerntes, vor allem wenn keine Berufsabschlüsse vorliegen. Natürlich beleuchten wir auch die Stolpersteine, die bislang einer beruflichen Inklusion im Wege standen und suchen gemeinsam nach Möglichkeiten, diese zu bearbeiten. Es ist oft sehr berührend, wenn Menschen erleben, dass sich jemand wirklich für sie interessiert, ihnen etwas zugetraut wird. Die Menschen brauchen Zeit für Entwicklung und eine professionelle Begleitung. Darum ist es wichtig, dass diese Personen eine länger andauernde Unterstützung von ihrem Kostenträger finanziert bekommen. Förderlich ist auch ein individuell mit ihnen abgestimmtes Vorgehen bei Arbeitserprobungen.
Das letzte Jahr wurde von den Auswirklungen der Covid19-Pandemie geprägt. Welche Entwicklungen waren hier für die Zielgruppe der Menschen mit Behinderung besonders schwierig?
Das Pandemie-Jahr 2020 hatte natürlich grundsätzlich auf viele Menschen in Deutschland gravierende Auswirkungen. Bestimmte Branchen im Arbeitsmarkt waren wirtschaftlich besonders betroffen. Manche zum Nachteil zum Beispiel die Gastronomie, andere zum Vorteil, zum Beispiel der Lebensmittelhandel. Für uns waren erhöhte Anstrengungen in der Akquise von Betrieben nötig, da viele Betriebe aufgrund ihrer Schutz- und Hygienekonzepte keine Erprobungs-Arbeitsplätze mehr anboten. Dazu kam, dass im Bereich Büro/Verwaltung kaum Betriebe gefunden wurden, da sich viele Mitarbeitende im Mobilen Office befanden. Unsere Teilnehmenden hat auch der Lockdown im Frühjahr 2020 besonders getroffen, da wir unsere Präsenztreffen auf Online-Formate umstellen mussten und nicht alle über die entsprechende Soft- und Hardware sowie das nötige Know-How im Umgang mit Online-Plattformen verfügten. So konnten wir teilweise nur telefonisch Kontakt halten. Derzeit haben wir leider eine Wiederholung dieser Situation durch die neuen Regelungen.
Der Bereich „Inklusion“ ist komplex. Sie müssen „Netzwerker/-innen“ sein und die Kompetenz von zahlreichen Institutionen zusammenbringen, um den Beratenden zu helfen. Wo sehen Sie hier Erfolge?
Netzwerken ist essentiell für unsere Arbeit. Es bedarf immer vieler Akteur*innen, wenn es um das Thema Inklusion geht und zwar für jede einzelne Person, die von uns unterstützt wird. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gutes Netzwerken immer mit den einzelnen Menschen in den Institutionen zusammenhängt und damit, ob sie einen Willen zur Veränderung und den Mut Neues zu wagen haben. Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist nötig, bei der sich die Beteiligten an Lösungen orientieren und sich trauen, alte Pfade im Sinne von „das haben wir schon immer so gemacht“ zu verlassen. Nur so können sich Strukturen verbessern und die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen steigern. Wir erweitern unsere Netzwerke stetig, sind neugierig und lernen hier immer viel dazu.
Access hat auch ein Beratungsangebot für die Zielgruppe der geflüchteten Menschen mit Behinderung: ein „Jobbegleiter“ soll unterstützen. Warum braucht es hier ein spezifisches Vorgehen?
Menschen mit Fluchthintergrund haben i. d. R. mit multiplen Problemlagen zu tun, wie zum Beispiel Traumatisierung, Entwurzelung, Existenzängsten, keine anerkannten Berufsabschlüsse, Sprachbarrieren. Liegt zusätzlich auch noch eine Behinderung vor, ist es ungemein schwerer im Arbeitsmarkt anzukommen. Hier sind wir als Expert*innen gefragt, die sich auskennen, auch im besonderen Dschungel des Förderrechts.
Die Stadt Nürnberg hat sich auf den Weg gemacht, die UN-Behindertenrechtskonvention mit Hilfe eines „Aktionsplans“ in die kommunale Praxis umzusetzen. Was ist ihr Tipp: Wo anfangen?
Das ist eine umfassende Frage. Ich konzentriere mich bei meiner Antwort auf das Thema „Die Stadt Nürnberg als Arbeitgeberin“. Auch Menschen mit Behinderungen mit entsprechenden Schul- sowie Berufsabschlüssen werden von der Stadt beschäftigt und bringen gute Arbeitsleistungen. Viele der von uns unterstützten Teilnehmer*innen können die in den Stellenausschreibungen beschriebenen Anforderungen aber nur teilweise erfüllen. Nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil es behinderungsbedingte Grenzen gibt. Wir bräuchten hier mehr „passgenaue Arbeitsplätze“, die es in einem guten Miteinander zu entwickeln gilt. Das ist nämlich mit Inklusion gemeint: Alle bewegen sich aufeinander zu. Wir sind dazu bereit!
Hintergrundinformationen: Die Statistik kann Inklusion vor allem durch die sogenannte „Ist-Quote“ abbilden. Die Quote bei den öffentlichen Arbeitgebern liegt grundsätzlich erheblich über der der privaten. In Nürnberg liegt sie mit 9,8% noch einmal weit über dem Bundesdurchschnitt (2018: 6,5%), weil große Bundesbehörden mit Sitz in Nürnberg beinhaltet sind.
Abbildung 1: Ist-Quote der Beschäftigten mit Schwerbehinderung in Nürnberg nach Sektoren, 2014 bis 2018
Titelfoto: © ACCESS – Inklusion im Arbeitsleben gemeinnützige GmbH.
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