Bildungsbüro Nürnberg – Bildungsblog

Bildungsbüro Nürnberg – Bildungsblog

Bildungsblog » Berufsorientierung
Hilft das Berufsvorbereitungsjahr Jugendlichen beim Schritt in die Ausbildung? – Ergebnisse der „Praxisforschung Berufsvorbereitung“

Hilft das Berufsvorbereitungsjahr Jugendlichen beim Schritt in die Ausbildung? – Ergebnisse der „Praxisforschung Berufsvorbereitung“

Alle jungen Menschen, die nach der Beendigung ihrer Vollzeit-Schulpflicht (mit oder ohne Schulabschluss) keinen Ausbildungsplatz oder anderweitigen Anschluss in Aussicht haben und weiterhin berufsschulpflichtig sind, münden seit dem Schuljahr 2020/21 direkt in das vollschulische „Berufsvorbereitungsjahr“ an einer der Nürnberger Berufsschulen ein. Die bayernweite Neustrukturierung zeigt – genauso wie die erstmalige Einführung eines Lehrplans für das BVJ – die weitere Institutionalisierung dieses Angebots, das in Nürnberg bereits seit langem einen festen Bestanteil des sogenannten „Übergangssystems“ bildet. Bezogen auf die Gesamtzahl der Mittelschulabgänger/-innen mündeten 2019/20 fast ein Drittel (29,2%) in eine Maßnahme der Berufsvorbereitung ein (neben dem BVJ sind dies auch weitere nichtschulische Maßnahmen).

Im aktuellen Schuljahr 2021/22 werden 370 Schüler und Schülerinnen in insgesamt 17 Klassen der Berufsvorbereitung (BVJ) unterrichtet, davon 136 in sechs Klassen nach dem kooperativen Modell (BVJ/k) gemeinsam mit einem Bildungsträger und 234 in elf vollschulischen Klassen der Berufsvorbereitung (BVJ/s).

Qualitative Praxisforschung zur Analyse der Zielerreichung

Mit der „Praxisforschung Berufsvorbereitung“, die im Dezember 2021 abgeschlossen wurde, wollte das Bildungsbüro in Abstimmung mit dem Amt für Berufliche Schulen ein Schlaglicht auf die derzeitigen Herausforderungen der Berufsvorbereitung werfen und mögliche Verbesserungspotentiale aufzeigen.

Zur Beantwortung der Forschungsfrage „Wie schätzen die BVJ-Lehrkräfte die Zielerreichung des Berufsvorbereitungsjahres ein?“ wurden im Sommer 2021 insgesamt elf leitfadengestützte Interviews mit Lehrkräften zu deren Einschätzung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität durchgeführt und mithilfe der strukturierenden Inhaltsanalyse ausgewertet.

Aufgrund des Zeitraums der Befragung, kurz nach Schulöffnung nach der „dritten Corona-Welle“ und innerhalb der Umsetzung der neuen BVJ-Konzeption sind die Ergebnisse allerdings nicht vollständig verallgemeinerbar.

Ergebnisse der Praxisforschung

Alle befragten Lehrkräfte sehen im BVJ ein sinnvolles Konzept und erleben die praktische Umsetzung als zielführend für die Erreichung der Ziele „berufliche Handlungsfähigkeit aufbauen“, „Persönlichkeit bilden“ und „demokratische Handlungskompetenzen fördern“.

Für die Lehrkräfte ist die konkrete Arbeit mit der Zielgruppe der BVJ-Schülerinnen und Schüler – mit ihren bisherigen Bildungsverläufen und ganz individuellen Problemlagen – eine Aufgabe, die sie gleichermaßen herausfordert wie beruflich erfüllt. Sie kann nach ihrer Einschätzung nur mit einer „Pädagogik auf Augenhöhe“ gelingen, in der die Person der Lehrkraft besonders gefragt ist, indem sie sowohl empathisch Vertrauen aufbauen muss, als auch gleichzeitig sehr klare Regeln verhandeln und deren Einhaltung kontrollieren und sanktionieren muss.

In den Interviews war deutlich zu spüren, dass die Lehrkräfte mit ihrer jeweils eigenen Lehrerpersönlichkeit alle davon überzeugt sind, dass sich der Einsatz im BVJ lohnt, um den Schülerinnen und Schülern die „Lebensunterstützung“ zu geben, die diese meist bislang noch nicht erhalten haben. Sicht- und erlebbare Erfolge in Bezug auf die verbesserte Lebensreife sowie die gelungene Integration in Ausbildung motivieren die Lehrkräfte, auf dem richtigen Weg zu sein. Zentraler Erfolgsfaktor ist für sie dabei der Praxisbezug des BVJ, der insbesondere auch „schulmüde“ Jugendliche neu aktivieren kann.

Um individueller agieren zu können wünschen sich die befragten Lehrkräfte insbesondere kleinere Klassen, sowie mehr Ressourcen für die begleitende Sozialpädagogik und Schulpsychologie.

Beispielhafte Zitate aus den Interviews:

„Man kommt nirgends näher an einen Schüler ran als im BVJ.“ „Wir sind für viele Schüler die Letzten, die ihnen noch mal was sagen können fürs Leben.“

 „Es geht nur um Praxis, die müssen raus aus der Schule, die müssen in die Betriebe, Arbeiten kennenlernen. Da braucht man Ressourcen, damit man das begleiten kann.“

 „Das ist auch tatsächlich das, was wir immer im BVJ sagen, jede Stunde jede Minute, die wir jetzt in diese Schüler investieren, das sparen wir uns später an Transferleistungen.“

Aus den Wahrnehmungen und Einschätzungen ergeben sich aber einige Empfehlungen aus Sicht der Praxisforschung, die Sie in der Komplettfassung der Studie nachlesen können.

Ausblick: Zukunft des BVJ?

Das BVJ ist aus der Sicht der Lehrkräfte auf jeden Fall eine effektive Maßnahme für die Zielgruppe. Trotzdem sind aber auch nach dem BVJ einige junge Menschen auf Unterstützung angewiesen und laufen Gefahr, noch „Warteschleifen“ in Maßnahmen drehen zu müssen und auch mittelfristig nicht in eine Berufsausbildung einmünden zu können.

Dies verlangt nach weiteren Anstrengungen zu größerer Durchlässigkeit und Inklusionsfähigkeit der Berufsvorbereitung – bei Aufrüstung mit entsprechenden personellen Ressourcen – sowie nach der weiteren Profilierung des Bereichs der Berufsvorbereitung als unverzichtbares Angebot im Übergang zu Ausbildung und Arbeitswelt.


Datenquelle: Stadt Nürnberg, Amt für Berufliche Schulen.

Titelbild: © Stadt Nürnberg.

Abwarten ist die falsche Devise!

Abwarten ist die falsche Devise!

Lage am Ausbildungsmarkt wird schwieriger 

Meldungen zum Ausbildungsmarkt waren in den letzten Jahren von einer positiven Grundstimmung geprägt: auch wenn der Übergang in die Ausbildung für manche Zielgruppen immer noch schwierig war, bestand ein großer Überhang an offenen Ausbildungsstellen und insbesondere das Handwerk suchte oft „händeringend“ nach Auszubildenden. 

Nicht überraschend wirkt sich auch hier die Corona-Krise negativ aus: aktuelle Daten zum Arbeitsmarkt zeigen einen deutlichen Einbruch auf allen Ebenen, der die bereits vorhandenen konjunkturellen Eintrübungen verstärkt.

In der Stadt Nürnberg wurden im Vergleich zum Vorjahr von Januar bis Mai 2020 769 Ausbildungsstellen weniger bei der Arbeitsagentur gemeldet (das sind -18,0 %). Die Anzahl der ausbildungssuchend gemeldeten Bewerber/-innen ist dagegen um 76 (+2,7 %) gestiegen.
Zum Mai galten 212 Bewerber/-innen, als „unversorgt“, damit stieg der Anteil der „unversorgten Bewerber“ an allen Bewerber/-innen im Vergleich zum Mai 2019 von 52,3 % auf 58,3 %, der Anteil der Bewerber/-innen, die direkt in eine Ausbildung eingemündet sind, sank auf 16,5 %.

Bezieht man die Gesamtzahl der gemeldeten Berufsausbildungsstellen auf die Gesamtzahl der gemeldeten Bewerber/-innen, stehen pro Bewerber/in rechnerisch 1,3 Ausbildungsstellen zur Verfügung. Im Vorjahr 2019 lag dieser Indikator noch bei 1,6. Gleichzeitig sank die Quote der „unbesetzten Berufsausbildungsstellen je unversorgtem Bewerber“ von 1,5 auf 1,1.

Entwicklung der gemeldeten Bewerber/-innen und gemeldeten Ausbildungsstellen, 2018/19 und 2019/20 (jeweils Oktober bis Mai)

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit.

Trotzdem spricht die Arbeitsagentur Nürnberg im Gesamtblick noch von einer „komfortablen Situation für Bewerberinnen und Bewerber in den meisten Branchen“ (Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Nürnberg, Renate Häublein in NN).   Auch die Kammern in Mittelfranken schauen noch weitgehend optimistisch auf das kommende Ausbildungsjahr. Sie rekurrieren auf den weiter vorhandenen Fachkräftemangel in zahlreichen Branchen und erwarten, dass der Abschluss zahlreicher Ausbildungsverträgen zeitlich nach hinten verschoben werden wird. (Stefan Kastner für die IHK Mittelfranken in NN vom 26.06.20).,
In der Differenzierung nach Branchen wird dabei deutlich, dass von der aktuellen Krise gerade Betriebe betroffen sind, die Ausbildungsplätze für Mittelschülerinnen und Mittelschüler anbieten wie z.B. in der Hotel- und Gastronomiebranche oder im Handwerk. So gaben in der April-Umfrage des Zentralverbands des deutschen Handwerks 25 Prozent der befragten Betriebe an, dass sie im Herbst weniger Ausbildungsplätze anbieten wollen.

Fallen diese weg, haben diese Jugendlichen deutlich weniger Optionen für alternative Bildungswege als junge Menschen mit höheren Abschlüssen.  

 Zusammenfassend beschreibt das Bundesinstitut für Berufsbildung die aktuelle Situation mit den Begriffen „Zurückhaltung“ (der Betriebe) und „Abwarten“ (der Bewerber). 

Übergang im nächsten Jahr gefährdet? 

In der Folge der Schulschließungen sind zahlreiche Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Berufsorientierung weggefallen. Während das städtische Übergangsmanagement SCHLAU die angemeldeten Schülerinnen und Schüler alternativ (in erster Linie telefonisch) weiter betreuen konnte, mussten die schulischen Förderangebote von Quapo deutlich eingeschränkt werden. Auch die Unterstützungsleistung des Projekts“ Perspektiven im Quartier“ musste in alternativer Form und dadurch mit deutlich höheren Zugangsschwierigkeiten umgesetzt werden. Ähnlich erschwert gestaltete sich die Beratungsarbeit der Berufseinstiegsbegleiter/-innen sowie der Fachkräfte der Jugendsozialarbeit an Schulen. 

Noch viel einschneidender waren die Maßnahmen im Bereich der schulischen Angebote, so konnten seit Schulschließung keinerlei Berufsorientierungsmodule externer Träger durchgeführt werden. Die Angebote Potentialanalyse sowie die Werkstatt-Tage für die siebten und achten Jahrgangsstufen mussten, genauso wie die Sprechstunden der Berufsberatung der Agentur für Arbeit, komplett eingestellt werden. Und obwohl viele Betriebe weiterhin Praktikant/-innen aufnehmen wollen, wurden im Regierungsbezirk Mittelfranken auch alle Schüler-Pflichtpraktika grundsätzlich abgesagt. 

Damit bleibt ein Großteil der Mittelschülerinnen und -schüler der derzeit siebten und achten Jahrgangsstufen noch ohne konkrete berufsorientierende Erfahrung. Sogar wenn im nächsten Schuljahr eine durchgängige Präsenz in den Schulen wieder möglich sein sollte, werden diese Angebote nur zu einem geringen Teil nachgeholt werden können. So wird z.B. im Rahmen des BO-Programms angestrebt, die Werkstatt-Tage für die wenigen Schülerinnen und Schüler nachzuholen, die in diesem Schuljahr noch eine Potentialanalyse absolvieren konnten. Die überwiegende Mehrheit der Schülerschaft wird dann allerdings noch keinerlei Möglichkeit gehabt haben, Berufe genauer zu erkunden und sich praktisch in einem Berufsfeld auszuprobieren. 

Die Erfahrung zeigt, dass dies gerade für diejenigen jungen Menschen, die nur schwer eigene Ressourcen aktivieren können und auf Motivation und Anleitung von Fachkräften angewiesen sind, eine deutliche Erschwernis für den Übergang in eine Ausbildung darstellt. Damit würde sich die Tatsache, dass die Auswirkungen der Corona-Krise vorhandene Bildungsungleichheiten systematisch verstärken noch ausweiten. 

Was ist jetzt zu tun, um allen jungen Menschen weiterhin die Chance zu geben, nach einer Orientierungsphase eine abgewogene Berufswahlentscheidung zu treffen, die nicht vorschnell auf der Wahrnehmung eines als vermeintlich krisenhaften Ausbildungsmarkts basiert, sondern sich vor allem von der Kenntnis der eigenen Fähigkeiten und Potenziale leiten lässt? 

Vorschläge, wie Akteure in Nürnberg gemeinsam gegensteuern können, lesen Sie im nächsten Beitrag.

Titelfoto: © Blechwunder Dellentechnik Rüdiger Spies.


Bundesagentur für Arbeit, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung. Berichte: Arbeitsmarkt kompakt – Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt, Nürnberg, Mai 2020.

Tobias Maier, Auswirkungen der „Corona-Krise“ auf die duale Berufsausbildung, BiBB-Preprint, Version 1.0, Bundesinstitut für Berufsbildung (Hg.), Mai 2020.