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Warum wählen Jugendliche Berufe? Und warum wählen sie Berufe nicht?

Beitrag vom 27. Feb. 2023

Auf der Suche nach dem Grund für die „immer gleiche“ Berufswahl (vgl. Blogbeitrag “Keine Trendumkehr am Ausbildungsmarkt 2022) muss man die grundlegende Frage nach der Motivation für die eigentliche Berufswahl stellen. Mit der Frage: „Warum wählen Jugendliche bestimmte Berufe?“ beschäftigt sich die Bildungsforschung schon lange.

Eine neuere Studie (Matthes, Stephanie: Warum werden Berufe nicht gewählt? Die Relevanz von Attraktions- und Aversionsfaktoren in der Berufsfindung. Bonn 2019) ist insbesondere der Frage „Warum wählen Jugendliche manche Berufe NICHT?“ nachgegangen und beschreibt neben dem „Attraktionsfaktor“ der Tätigkeitspassung als notwendige Bedingung der Berufswahl auch diverse (individuell unterschiedliche) „Aversionsfaktoren“, die die Passung „stören“ können.

Abbildung 1: Einflussfaktoren in der Berufsfindung

Quelle: Matthes, Stephanie: Warum werden Berufe nicht gewählt? Die Relevanz von Attraktions- und Aversionsfaktoren in der Berufsfindung. Bonn 2019 S. 86.

Neben leicht nachvollziehbaren Faktoren wie „Belastungen durch Rahmenbedingungen“, wie sie z.B. in unbeliebten Berufen der Pflege oder der Gastronomie häufig benannt werden, stellt hier v.a.  die „mangelnde soziale Passung“ einen wichtigen Hinderungsgrund für die Berufswahl dar, das heißt, dass vor allem die Antizipation negativer Reaktionen des sozialen Umfelds auf eine bestimmte Berufswahl dazu führt, dass der entsprechende Beruf ausgeschlossen wird. In den Bewerberbefragungen des BIBB wird dieser Faktor mithilfe der Frage „Was denkst du: Wie würdest du mit diesen Berufen bei deinen Freunden/ deiner Familie ankommen?“ erfasst.

Das bedeutet, dass junge Menschen im Streben nach sozialer Anerkennung Berufe, bei deren Wahl sie mit negativen Reaktionen ihres sozialen Umfelds (Familie, Freunde, Bekannte) rechnen, sogar dann ausschließen, wenn die Tätigkeit des Berufs eigentlich zu den eigenen Interessen und Fähigkeiten passen würde („Tätigkeitspassung“). Das Streben nach einer positiven beruflichen Identität führt damit im Extremfall zur Wahl eines Berufs, der nicht zu den eigenen Interessen passt oder aber bei dem die Besetzungschancen (zu) gering sind.

Ergebnisse von Studien zum Berufsprestige (Ebner/Rohrbach-Schmidt 2019) stützen diese Theorie: hier zeigt sich ein geringes Ansehen eher in Ausbildungsberufen, die auch hohe Anteile von unbesetzten Ausbildungsstellen aufweisen.

Und auch die Geschlechterdisparitäten können zu einem Teil auf die Prägung durch vorherrschende Berufsimages zurückgeführt werden, die sich auf die Selbsteinschätzung von Mädchen und Jungen auswirkt (Kampshoff/Wiepcke 2019).

Berufsorientierungsmaßnahmen: mehr Reflexion statt noch mehr Information

Wenn die Berufswünsche der jungen Menschen auf der Suche nach ihrer persönlichen und beruflichen Identität also so stark von der „sozialen Passung“ abhängen, sind Probleme der Berufswahlentscheidung keine reinen Wissens- oder Orientierungsprobleme. Oehme formulierte schon 2013, dass die „verbreitete Idee, dass das größte Integrationsproblem an der Schwelle in die Ausbildung die Unklarheit über Berufswünsche und damit folglich der Übergang durch Klarheit zu befördern wäre“ trügen könnte. (Oehme 2013, S. 639 ff.)

Das heißt für die Durchführung bei Maßnahmen der Berufsorientierung und -beratung nicht ausschließlich auf umfassende Information und Orientierung sowie die Herstellung einer „Passung“ zu zielen, sondern die Berufsorientierung stärker zu individualisieren und Reflexionsprozesse zu ermöglichen. Die Reflexion über eigene Erfahrungen und die (vermuteten) Einschätzungen der Umwelt gelingt in der Praxis oft dort besonders gut, wo mit Eltern und/oder ehemaligen Schüler/-innen mit Berufserfahrung in vermeintlich untypischen oder weniger prestigeträchtigen Berufen über deren Erfahrungen diskutiert werden kann (Matthes 2019, S. 169).

Dieser Erkenntnis wird in Nürnberg aktuell insbesondere bei Angeboten wie „Berufe erleben“, den “AusbildungsScouts”, bei den SCHLAU-Firmenveranstaltungen  sowie durch zahlreiche schulspezifische Angebote Rechnung getragen. In den Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Agentur für Arbeit für Jugendliche, die nicht mehr an das Schulsystem angebunden sind, steht das Sammeln praktischer Erfahrungen im Mittelpunkt. Hierbei ist auch Raum für Austausch und Reflexion mit Ausbildern unterschiedlichster Berufsgruppen.


Weitere Informationen und datengestützte Angaben zum Ausbildungsmarkt und der beruflichen Bildung sowie zu weiteren Bildungsbereichen in Nürnberg finden sich im aktuellen Bildungsbericht.


Quellen:

Matthes, Stephanie: Warum werden Berufe nicht gewählt? Die Relevanz von Attraktions- und Aversionsfaktoren in der Berufsfindung. Bonn 2019.

Ebner, Christian / Rohrbach-Schmidt, Daniela: Deutliche Unterschiede im Ansehen dualer Ausbildungsberufe in Deutschland. In: BiBB (Hg.), BWP, 4/2019.

Kampshoff, Marita / Wiepcke, Claudia: Geschlechtersensible Berufliche Orientierung – Fachdidaktischer Dreischritt für einen zeitgemäßen Wirtschaftsunterricht. In: Schröder, R. (eds) Berufliche Orientierung in der Schule. Springer VS, Wiesbaden, 2019.

Oehme, Andreas: Dilemmata in der beruflichen Orientierung. In: Schröer, W. u.a. (Hg.): Handbuch Übergänge, 2013.

Titelbild: © Bildungsbüro/Stadt Nürnberg.

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