Der massive Digitalisierungsschub, den die Corona-Pandemie ausgelöst hat, hat deutlich gezeigt, dass Menschen aus strukturell benachteiligten Bevölkerungsgruppen auf dem Weg von der analogen zur digitalen (Lern-)Welt abgehängt werden. Zugewanderte und ihre Familie sind davon besonders betroffen (vgl. Lochner/Jähnert 2020) – durch ihre Migrationsgeschichte einerseits, vor allem aber durch die soziale Herkunft (vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2016).
Durch Migration gehen wichtige strukturelle Ressourcen wie etwa soziale Netzwerke oder die Übertragbarkeit der eigenen Bildungserfahrung verloren. Die eigene Muttersprache ist nicht die Schul- und Bildungssprache der Kinder, wer Deutsch nicht ausreichend spricht, kann seinen Kindern nicht bei den Hausaufgaben helfen. Wenn Eltern zudem niedrig entlohnte Arbeit, beispielsweise wegen fehlendem Bildungsabschluss oder fehlender Anerkennung des Bildungsabschlusses, annehmen müssen, dann bleibt kein Geld für Lernmaterialien und einen eigenen Computer. Dabei zählen digitale Grundkompetenzen heute längst mit zu den entscheidenden Faktoren für erfolgreiche Bildungsprozesse und überhaupt für gesellschaftliche Teilhabe.
Das Projekt „Digital Immigrants – digitale Grundbildung für sozial benachteiligte Familien mit Migrationshintergrund“ greift diesen Bedarf auf mit dem Ziel, digitale Teilhabe nachhaltig zu fördern. Doch wie kann digitale Teilhabe auch für Familien in prekären ökonomischen Situationen ermöglicht werden? Und wie kann die Teilhabe nachhaltig gesichert werden? Als grundlegend für einen inklusiven und nachhaltigen Ansatz zur digitalen Teilhabe erweisen sich aus Sicht der Begleitforschung dabei insbesondere folgende konzeptionellen Bausteine des Projektes:
- Zentrale Maßnahme des Projektes und wichtigstes Instrument der Teilhabe ist die Erarbeitung einer Online-Toolbox zur Schulung digitaler Kompetenz. Die Toolbox hält Materialien und Module für Lehr- und Lerneinheiten zu grundlegenden Themen digitaler Kompetenz in einfacher Sprache bereit und wird auch nach Projektende weiterhin kostenfrei online zur Verfügung stehen. Sie wurde auf Grundlage einer Analyse bereits angewandter Inhalte und Methoden der digitalen Grundbildung entwickelt und in gemeinsamen Workshops mit der Zielgruppe erprobt. Fachliche und sprachliche Hürden konnten dadurch weitestgehend reduziert werden.
- Der Aufbau eines stadtweiten Peer-Learning-Netzwerks mit Digi-Coaches für Kinder, Jugendliche und erwachsene Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ermöglicht nicht nur unmittelbare Zielgruppenansprache und eine geschützte Lernatmosphäre, sondern auch eine von (Bildungs-)Institutionen unabhängige Weitergabe von Wissen.
- Die Bereitstellung der notwendigen Soft- und Hardware für alle Teilnehmenden sowie die Überlassung der Endgeräte an die Digi-Coaches und -Mentor*innen zum weiteren Peer-to-Peer-Coaching auch nach Projektende.
- Die digitale Bereitstellung der erarbeiteten Materialien in einer Online-Toolbox ermöglicht nicht nur eine fortlaufende Erweiterung und Anpassung des Materials in einem sich schnell verändernden Fachgebiet, sondern auch die Möglichkeit einer individualisierbaren Einteilung der aufbereiteten Lehreinheiten, unterstützt durch ein digitales Fachwörter-Glossar in Einfacher Sprache.
- Der bundesweite Austausch und Transfer der Erkenntnisse und Produkte ist bereits ab dem zweiten Jahr der Projektlaufzeit geplant. Durch den Transfer und die Übernahme des Konzepts durch andere Kommunen profitieren Menschen bundesweit von den Ergebnissen und können unkompliziert und ortsunabhängig auf die Online-Toolbox zugreifen.
Das Projekt „Digital Immigrants“ wird gefördert vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) und hat eine dreijährige Laufzeit bis 09/2023. Es wird durchgeführt in Kooperation mit der Stiftung Sozialidee, dem Medienzentrum Parabol und dem Institut für E-Beratung der TH Nürnberg, das die wissenschaftliche Begleitforschung durchführt.
Dieser Beitrag wurde erstellt von Marion Bradl M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für E-Beratung an der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm in Nürnberg. Marion Bradl ist unter anderem betraut mit der wissenschaftlichen Begleitforschung des Projektes Digital Immigrants.
Quellen:
Lochner, S., Jähnert, A. (Hrsg.). (2020): DJI-Kinder- und Jugendmigrationsreport 2020: Datenanalyse zur Situation junger Menschen in Deutschland. wbv Media GmbH & Co. KG, Bielefeld. https://doi.org/10.3278/6004754w
Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2016): Doppelt benachteiligt? Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund im deutschen Bildungssystem. Eine Expertise im Auftrag der Stiftung Mercator. SVR GmbH, Berlin.
Titelbild: © Thomas Kießlich.
Bild: © Giorgos Agelakis.
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