Aktivieren statt Abwarten

Aktivieren statt Abwarten

Was ist jetzt zu tun, um „Corona-Effekte“ im Bereich der Ausbildung zu vermeiden?

Im letzten Artikel wurde festgestellt, dass die aktuelle Grundstimmung des Ausbildungsmarkts von „Abwarten“ und „Zögern“ geprägt ist. Gerade jetzt sind deshalb die Akteure der Berufsbildung in Politik und Praxis gefragt, aktiv zu werden: um zum einen die derzeitigen Schulabgänger/-innen rechtzeitig und passgenau in Ausbildung zu bringen. Und um zum anderen präventiv Maßnahmen zu ergreifen, den nächsten (und übernächsten) Absolvent/-innenjahrgang gut auf den Übergang in die Ausbildung vorzubereiten.

Entsprechende Koalitionen sind auf Bundes- und Landesebene bereits geschmiedet oder im Aufbau (z.B. mit der „Allianz für Aus- und Weiterbildung 2019 – 2021“). In Nürnberg hat sich die neugegründete „Task Force Corona“ das Thema Ausbildungssicherung auf die Fahnen geschrieben und setzt dies aktuell mit der Kampagne „#Ausbildung jetzt“ um. Auch die Akteure in den vorhandenen Netzwerken (wie z.B. im Trägerkreis Übergangsmanagement und den Gremien der Jugendberufsagentur) wird über notwendige Maßnahmen diskutiert. Neben bereits verabschiedeten staatlichen Unterstützungen zur Stabilisierung und Intensivierung des Ausbildungsplatzangebots und der weiterhin dringend notwendigen Umsetzung des Digitalpakts in Mittel- und Berufsschulen, sollten auf kommunaler Ebene gemeinsam Aktionen geplant und ergriffen werden:

  • Unsicherheiten abbauen: Kommunikation und Information auf allen Ebenen
  • Jugendliche, ihre Eltern, Lehrkräfte und Peers brauchen die aktuelle Information über das Ausbildungsstellenangebot in den verschiedenen Branchen. (Online-) Vermittlungs- und Lehrstellen-börsen bieten hier eine Übersicht, Berufsberatung und Ausbildungsakquisition unterstützen bei der Auswahl. Berichterstattung in Print und Social Media (über freie Ausbildungsplätze, Branchen/Firmen, die Auszubildende suchen, Erfolgsberichte von jungen Menschen, die jetzt einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen haben) kann Eltern und Jugendliche erreichen, die bislang keinen Zugang zu einer beratenden Organisation haben.
  • Motivation aufbauen und Kontakt herstellen
  • Junge Menschen, die grundsätzlich oder aufgrund eines aktuellen Unsicherheitsgefühls nicht von sich aus aktiv werden (können), brauchen den Kontakt zu einer unmittelbaren Ansprechperson. Lehrkräfte und andere Vertrauenspersonen der jungen Menschen wie z.B. die Jugendsozialarbeiter/-innen an Schulen sollten die jungen Menschen direkt auf die Expert/-innen (der Berufsberatung, des Jobcenters oder der Ausbildungsakquisiteure) verweisen – im Sinne eines aktivierenden Apells „Lass uns dort mal zusammen anrufen“.
  • Alternativen (den „Plan B“) vermitteln
  • Gerade jetzt könnte der „erste Wunsch“ von Jugendlichen hinsichtlich des Ausbildungsberufs schwieriger zu erfüllen sein. Umso wichtiger ist die Beratung zu Alternativen, d.h. Ausbildungen in verwandten Berufen oder vollschulische Ausbildungen und Übergangsmaßnahmen. Das Team „Berufsschulberatung“ (s. Infokasten) berät z.B. zu Anschlussmaßnahmen und zu den umfangreichen Ausbildungsmöglichkeiten an den kommunalen Berufsschulen.
  • Flexible Angebote planen
  • Im Zieldilemma zwischen Gesundheitsschutz und gelingendem Übergangsmanagement brauchen alle (staatlichen, kommunalen und privaten) Akteure ausreichend Handlungsspielraum, um im Sommer und im folgenden Schuljahr 20/21 flexibel Angebote planen und gestalten zu können. Angebote der Berufsorientierung sollten vorrausschauend mit Alternativen zum direkten persönlichem Kontakt geplant werden, um weitere Absagen und erneute Schließungen zu verhindern.
  • Praktikum als Praxiserfahrung: wichtiger denn je
  • Insbesondere für Schülerinnen und Schüler, die nicht die Chance hatten bzw. haben werden, an umfangreicheren Berufsorientierungsprogrammen teilzunehmen, hat das Schülerpraktikum eine zentrale Bedeutung. Es bleibt das Schlüsselelement, um einen authentischen Eindruck von Berufen und Branchen und damit eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu erhalten. Hier ist schulseitig darüber nachzudenken, die Praktikumszeiträume zu flexibilisieren und individuelle Praktika auch während der Schulzeit zu ermöglichen. Betriebe, die Praktikant/-innen einstellen würden, können direkt Kontakt mit den Schulen (Schulleitung, Berufsorientierungs-Beauftragte) aufnehmen: das Konzept des „Qualifizierten Praktikums“, das als gemeinsame Initiative des städtischen Bildungsbüros und dem Staatlichen Schulamt im Schuljahr 20/21 an allen Schulen eingeführt wird, liefert gute Grundlagen für die abgestimmte Zusammenarbeit von Schule und Betrieb.

Links:

zur Übersicht: „geöffnete“ Beratungsangebote:
https://uebergangsmanagement.nuernberg.de/aktuelle-meldung/wir-sind-fuer-euch-da-beratungs-und-unterstuetzungsangebote-im-uebergang.html

zur Datenbank „Übergang Schule-Beruf Nürnberg“ (mit allen alternativen Möglichkeiten zur dualen Ausbildung, u.a. allen Ausbildungen der Berufsfachschulen):
www.uebergangsmanagement.nuernberg.de

Team Berufsschulberatung (bei SCHLAU):
https://www.schlau.nuernberg.de/berufsschulberatung.html

zur Infokampagne #Ausbildung jetzt https:
www.nuernberg.de/internet/wirtschaft/ausbildungjetzt.html

zu den Ausbildungsprämien:
https://www.ihk-nuernberg.de/de/corona-virus/corona-virus-regelungen-ihk-pruefungen/corona-virus-foerdermoeglichkeiten-in-der-ausbildung-bundesprogramm-ausbildungs/

zu den Lehrstellenbörsen der Kammern:
https://www.ihk-lehrstellenboerse.de/
https://www.hwk-mittelfranken.de/artikel/lehrstellenboerse-und-lehrstellenradar-75,1592,4308.html

Abwarten ist die falsche Devise!

Abwarten ist die falsche Devise!

Lage am Ausbildungsmarkt wird schwieriger 

Meldungen zum Ausbildungsmarkt waren in den letzten Jahren von einer positiven Grundstimmung geprägt: auch wenn der Übergang in die Ausbildung für manche Zielgruppen immer noch schwierig war, bestand ein großer Überhang an offenen Ausbildungsstellen und insbesondere das Handwerk suchte oft „händeringend“ nach Auszubildenden. 

Nicht überraschend wirkt sich auch hier die Corona-Krise negativ aus: aktuelle Daten zum Arbeitsmarkt zeigen einen deutlichen Einbruch auf allen Ebenen, der die bereits vorhandenen konjunkturellen Eintrübungen verstärkt.

In der Stadt Nürnberg wurden im Vergleich zum Vorjahr von Januar bis Mai 2020 769 Ausbildungsstellen weniger bei der Arbeitsagentur gemeldet (das sind -18,0 %). Die Anzahl der ausbildungssuchend gemeldeten Bewerber/-innen ist dagegen um 76 (+2,7 %) gestiegen.
Zum Mai galten 212 Bewerber/-innen, als „unversorgt“, damit stieg der Anteil der „unversorgten Bewerber“ an allen Bewerber/-innen im Vergleich zum Mai 2019 von 52,3 % auf 58,3 %, der Anteil der Bewerber/-innen, die direkt in eine Ausbildung eingemündet sind, sank auf 16,5 %.

Bezieht man die Gesamtzahl der gemeldeten Berufsausbildungsstellen auf die Gesamtzahl der gemeldeten Bewerber/-innen, stehen pro Bewerber/in rechnerisch 1,3 Ausbildungsstellen zur Verfügung. Im Vorjahr 2019 lag dieser Indikator noch bei 1,6. Gleichzeitig sank die Quote der „unbesetzten Berufsausbildungsstellen je unversorgtem Bewerber“ von 1,5 auf 1,1.

Entwicklung der gemeldeten Bewerber/-innen und gemeldeten Ausbildungsstellen, 2018/19 und 2019/20 (jeweils Oktober bis Mai)

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit.

Trotzdem spricht die Arbeitsagentur Nürnberg im Gesamtblick noch von einer „komfortablen Situation für Bewerberinnen und Bewerber in den meisten Branchen“ (Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Nürnberg, Renate Häublein in NN).   Auch die Kammern in Mittelfranken schauen noch weitgehend optimistisch auf das kommende Ausbildungsjahr. Sie rekurrieren auf den weiter vorhandenen Fachkräftemangel in zahlreichen Branchen und erwarten, dass der Abschluss zahlreicher Ausbildungsverträgen zeitlich nach hinten verschoben werden wird. (Stefan Kastner für die IHK Mittelfranken in NN vom 26.06.20).,
In der Differenzierung nach Branchen wird dabei deutlich, dass von der aktuellen Krise gerade Betriebe betroffen sind, die Ausbildungsplätze für Mittelschülerinnen und Mittelschüler anbieten wie z.B. in der Hotel- und Gastronomiebranche oder im Handwerk. So gaben in der April-Umfrage des Zentralverbands des deutschen Handwerks 25 Prozent der befragten Betriebe an, dass sie im Herbst weniger Ausbildungsplätze anbieten wollen.

Fallen diese weg, haben diese Jugendlichen deutlich weniger Optionen für alternative Bildungswege als junge Menschen mit höheren Abschlüssen.  

 Zusammenfassend beschreibt das Bundesinstitut für Berufsbildung die aktuelle Situation mit den Begriffen „Zurückhaltung“ (der Betriebe) und „Abwarten“ (der Bewerber). 

Übergang im nächsten Jahr gefährdet? 

In der Folge der Schulschließungen sind zahlreiche Beratungs- und Unterstützungsangebote zur Berufsorientierung weggefallen. Während das städtische Übergangsmanagement SCHLAU die angemeldeten Schülerinnen und Schüler alternativ (in erster Linie telefonisch) weiter betreuen konnte, mussten die schulischen Förderangebote von Quapo deutlich eingeschränkt werden. Auch die Unterstützungsleistung des Projekts“ Perspektiven im Quartier“ musste in alternativer Form und dadurch mit deutlich höheren Zugangsschwierigkeiten umgesetzt werden. Ähnlich erschwert gestaltete sich die Beratungsarbeit der Berufseinstiegsbegleiter/-innen sowie der Fachkräfte der Jugendsozialarbeit an Schulen. 

Noch viel einschneidender waren die Maßnahmen im Bereich der schulischen Angebote, so konnten seit Schulschließung keinerlei Berufsorientierungsmodule externer Träger durchgeführt werden. Die Angebote Potentialanalyse sowie die Werkstatt-Tage für die siebten und achten Jahrgangsstufen mussten, genauso wie die Sprechstunden der Berufsberatung der Agentur für Arbeit, komplett eingestellt werden. Und obwohl viele Betriebe weiterhin Praktikant/-innen aufnehmen wollen, wurden im Regierungsbezirk Mittelfranken auch alle Schüler-Pflichtpraktika grundsätzlich abgesagt. 

Damit bleibt ein Großteil der Mittelschülerinnen und -schüler der derzeit siebten und achten Jahrgangsstufen noch ohne konkrete berufsorientierende Erfahrung. Sogar wenn im nächsten Schuljahr eine durchgängige Präsenz in den Schulen wieder möglich sein sollte, werden diese Angebote nur zu einem geringen Teil nachgeholt werden können. So wird z.B. im Rahmen des BO-Programms angestrebt, die Werkstatt-Tage für die wenigen Schülerinnen und Schüler nachzuholen, die in diesem Schuljahr noch eine Potentialanalyse absolvieren konnten. Die überwiegende Mehrheit der Schülerschaft wird dann allerdings noch keinerlei Möglichkeit gehabt haben, Berufe genauer zu erkunden und sich praktisch in einem Berufsfeld auszuprobieren. 

Die Erfahrung zeigt, dass dies gerade für diejenigen jungen Menschen, die nur schwer eigene Ressourcen aktivieren können und auf Motivation und Anleitung von Fachkräften angewiesen sind, eine deutliche Erschwernis für den Übergang in eine Ausbildung darstellt. Damit würde sich die Tatsache, dass die Auswirkungen der Corona-Krise vorhandene Bildungsungleichheiten systematisch verstärken noch ausweiten. 

Was ist jetzt zu tun, um allen jungen Menschen weiterhin die Chance zu geben, nach einer Orientierungsphase eine abgewogene Berufswahlentscheidung zu treffen, die nicht vorschnell auf der Wahrnehmung eines als vermeintlich krisenhaften Ausbildungsmarkts basiert, sondern sich vor allem von der Kenntnis der eigenen Fähigkeiten und Potenziale leiten lässt? 

Vorschläge, wie Akteure in Nürnberg gemeinsam gegensteuern können, lesen Sie im nächsten Beitrag.

Titelfoto: © Blechwunder Dellentechnik Rüdiger Spies.


Bundesagentur für Arbeit, Statistik/Arbeitsmarktberichterstattung. Berichte: Arbeitsmarkt kompakt – Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt, Nürnberg, Mai 2020.

Tobias Maier, Auswirkungen der „Corona-Krise“ auf die duale Berufsausbildung, BiBB-Preprint, Version 1.0, Bundesinstitut für Berufsbildung (Hg.), Mai 2020.