Magdalena Musial ist beim Institut für Pädagogik und Schulpsychologie (IPSN) zuständig für das Elternbüro Schulerfolg und Teilhabe Nürnberg (NEST). Wir haben uns mit ihr getroffen und über die verschiedenen Aufgaben und Ziele sowie die Herausforderungen des Nürnberger Vorzeigeprogramms, das bereits im Jahr 2010 ins Leben gerufen wurde, gesprochen.
Frau Musial, geben Sie uns einen Eindruck: Was sind die Aufgaben und Ziele von NEST?
Also das übergeordnete Ziel, das wir uns gesetzt haben, ist Bildungsgerechtigkeit. Wir stellen unsere Arbeit unter das bekannte Motto: Kein Kind darf verloren gehen. Und die Eltern sind dabei unser Ansatzpunkt, denn sie haben einen riesigen Einfluss auf den Bildungserfolg ihrer Kinder. Die Hauptrolle bei NEST haben unsere ehrenamtlichen Elternlotsinnen und Elternlotsen. Sie bauen Brücken zwischen Schule und Eltern mit Zuwanderungsgeschichte und sind ansprechbar für beide Seiten. Außerdem geben sie den Eltern wertvolle Tipps aus eigener Erfahrung, sowie vermitteln Informationen über unterschiedliche Beratungsstellen, in denen die Erziehungsberechtigten bei Bedarf professionelle Hilfe einholen können. Sie erklären das bayerische Schulsystem, klären manchmal auch Missverständnisse auf.
Was sind das für Missverständnisse?
Das ist ganz individuell und lässt sich nicht verallgemeinern. Manchmal gibt es bestimmte Erwartungen an das Schulsystem hier, die aus den Herkunftsländern mitgebracht werden, die hier aber so nicht zutreffen. Viel geht es auch darum zuzuhören und Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Schule im Herkunftsland und Schule hier zu erkennen und zu benennen.
Dabei haben die Lotsinnen und Lotsen auch eine Vorbildfunktion für die anderen Eltern. Denn es wird klar, dass sie sich auch erst zurechtfinden mussten und vielleicht auch nicht perfekt Deutsch sprechen, aber es geschafft haben und sich auch trauen, vor Menschen zu sprechen. Sie nutzen ihre mitgebrachten Kompetenzen, ihr Wissen und ihre Stärken und motivieren auf diese Weise die Eltern.
Wie viele Elternlotsinnen und Lotsen sind denn bei NEST und wo sind sie überall aktiv?
Derzeit sind es 38 Personen. Und wir haben 31 Partnerschulen, aber weit mehr Einzelanfragen auch aus anderen Nürnberger Schulen. Die Partnerschulen arbeiten mit uns zusammen und machen sich gemeinsam Gedanken über die Bedarfe, die sie feststellen. Die aktiven Elternlotsinnen und Elternlotsen überlegen in kleinen Teams, welche Angebote sie den Schulen machen können, z.B. Sprechstunden oder Mitorganisation von Eltern-Cafés.
Wie haben sich die Bedarfe an Unterstützung während der Corona-Pandemie verändert? Welche Unterstützung konnte NEST leisten?
Es gab keinen direkten Kontakt mehr. Vor der Pandemie waren ja die persönlichen Treffen ganz wichtig. Die Eltern-Cafés oder die Kulturausflüge, die von den Lotsinnen und Lotsen unternommen wurden. Auch gab es ein Team, das speziell für Geflüchtetenunterkünfte zuständig war. All diese persönlichen Kontakte waren plötzlich nicht mehr möglich.
Was es weiterhin gab, waren die Kontakte, die bereits vorher geknüpft worden waren. Die Lotsen und Lotsinnen haben viele lange Telefonate mit Eltern geführt, die bereits mit ihnen in Kontakt standen. Und diese haben die Infos dann oft auch an Dritte weitergeleitet. Trotzdem ist es natürlich viel mühsamer, einzelne Telefongespräche zu führen als die wichtigsten Fragen in einer Veranstaltung zu klären.
Dadurch haben Sie sicher schnell einen Eindruck davon gewinnen können, was denn die drängendsten Probleme waren beziehungsweise sind?
Also ganz wichtig war die Erklärung der zahlreichen Elternbriefe und Mitteilungen, die die Eltern bekamen. Die sind leider nicht in einfacher Sprache gehalten, eher im Gegenteil. Teilweise war an einen Brief von der Schule noch eine Mitteilung des Kultusministeriums drangehängt. Das ist sehr schwer zu verstehen. Dabei ist es ganz wichtig, dass die Lotsinnen und Lotsen sich nicht als Übersetzer verstehen. Das ist nicht ihre Aufgabe.
Viele Eltern hatten Sorgen und wollten wissen, wie sie ihre Kinder richtig unterstützen können. Häufig gab es auch die Situation, dass die Kinder sehr demotiviert waren. Oft war den Eltern auch unklar, wie sie überhaupt Kontakt zu den Lehrkräften aufnehmen können. Teilweise haben das dann die Elternlotsen übernommen. Es kam aber auch vor, dass Lehrerinnen und Lehrer die Lotsinnen und Lotsen gebeten haben, interessierte Eltern zu kontaktieren und Informationen weiter zu leiten.
Ein großes Thema waren natürlich auch die digitalen Geräte. Häufig gibt es in den Familien nur ein Smartphone. Da haben die Lotsinnen und Lotsen immer wieder nachgehakt, bis es geklappt hat.
Woran lag es denn?
Einige Eltern wussten nicht, dass sie die Möglichkeit haben ein Gerät auszuleihen. Einige haben den Bedarf an der Schule zwar gemeldet, aber sehr lange kein Gerät bekommen. Oft lag es auch an den Beiträgen im Leihvertrag, wenn mal ein Gerät kaputtgeht.
Die Selbstbeteiligung im Schadensfall?
Genau. Die war im Leihvertrag so hoch, dass viele Eltern gesagt haben: Das leihen wir nicht aus. Da waren viele Gespräche mit der Digitalen Schule und mit den Eltern nötig. Dann konnte den Eltern vermittelt werden, dass nur absichtliches Beschädigen gemeint ist und dass man sich ansonsten schon einig wird, wenn mal etwas kaputt geht.
Wo sehen Sie weiterhin Handlungsbedarf?
Für unsere Arbeit wäre es ganz wichtig, dass in den Schulen Hygienekonzepte entwickelt werden, die es uns wieder möglich machen, dort z.B. Eltern- Cafés anzubieten. Auch Elternabende für Deutschklassen in kleinen Gruppen in Anwesenheit der Elternlotsinnen und Lotsen wären wichtig. Solche Elterninformationsabende haben vielen Migrantenfamilien die Möglichkeit gegeben, in ihrer Sprache direkt vor Ort an Informationen zu kommen. Das lässt sich digital nicht ersetzen.
Die einfache Sprache in Mitteilungen von Schulen bleibt auch ein Baustein für die Zukunft.
Zum Abschluss: Welche positiven Erfahrungen haben Sie bei NEST in dieser schwierigen Zeit gemacht und was nehmen Sie vielleicht sogar mit in die Zukunft?
Ganz toll war der Erfindungsgeist und die Flexibilität unserer Lotsinnen und Lotsen. Sie haben sich innerhalb kürzester Zeit digitale Kompetenzen angeeignet. Im Rahmen von NEST haben sie dazu mehrere Fortbildungen besucht und das Wissen dann den Eltern weitergegeben. Mit dem Projekt „Digitale Bürgerschaft“ haben wir jetzt ein Thema im Angebot, das gerade sehr viele Eltern interessiert. Aber auch den technischen Umgang mit den digitalen Werkzeugen haben die Lotsinnen und Lotsen sich sehr schnell angeeignet. Und das wird auch nach der Pandemie noch genutzt werden, denke ich: Einzelgespräche oder Eltern-Lehrer-Gespräche per Online-Konferenz. Das macht die Wege einfach kürzer. Ersetzt aber natürlich nicht die persönlichen Begegnungen.
Titelbild: © Thomas Kießlich.
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