Daniel Terzenbach, Vorstand Regionen der Bundesagentur für Arbeit und seit kurzem Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten vollzog eine Standortbestimmung für den deutschen Arbeitsmarkt und leitete daraus Handlungsbedarfe für das Bildungssystem ab. Dabei benannte er den demographischen Wandel und die Digitalisierung unter besonderer Berücksichtigung künstlicher Intelligenz als Megatrends, deren Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt und Wohlstand ungeachtet kurz- und mittelfristiger Krisen wie z.B. der Pandemie relativ stabil und daher gut kalkulierbar seien.
Daniel Terzenbach, Bundesagentur für Arbeit forderte einen vielfältigeren Arbeitsmarkt .
Seit der Zeit als Deutschland in den Nullerjahren des Jahrtausends als „kranker Mann Europas“ galt, sank die Zahl der Arbeitslosen und die Anzahl der Personen in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung wuchs. Auch im aktuellen Jahr 2023 stieg die Beschäftigtenanzahl trotz schwieriger Rahmenbedingungen um 200.000. „Dieser Zuwachs ist ausschließlich auf Nichtdeutsche zurückzuführen“, so Terzenbach. So sei angesichts der Überalterung der deutschen Gesellschaft Zuwanderung essenziell für die Sicherung des Wohlstands hierzulande. Vor diesem Hintergrund verwies er darauf, dass Abwehrdiskurse in der Migrationspolitik nicht ohne Folgen blieben für die dringend benötigten Fachkräfte aus dem Ausland. Er appellierte: „Das ist eine Kulturfrage: Sind wir ein Land, das Menschen willkommen heißt und das eine langfristige Integrationsstrategie hat?“
Bildung ist der Schlüssel
Terzenbach stellte klar, dass künstliche Intelligenz kein Jobkiller sei, weil Automatisierungsprozesse einerseits allein aufgrund des Schwunds an Arbeitskräften nötig seien und dass dadurch andererseits neue Jobs auf einem höheren Qualifikationsniveau entstehen würden. Für ihn sei „Bildung der zentrale Schlüssel“, um auf diese Entwicklung reagieren zu können. „50.000 Schulabgänger in Deutschland ohne Abschluss sind 50.000 zu viel“ konstatierte Terzenbach beim Blick auf den Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung.
Mit dem hohen Sockel an Langzeitarbeitslosigkeit, etwa 800.000 Menschen, die Deutschland Jahr für Jahr verlassen, der hohen Zahl von 4 Millionen arbeitenden Menschen ohne Berufsabschluss und auch der Gruppe der Älteren auf dem Arbeitsmarkt mit teils veralteten Qualifikationen wies Terzenbach auf weitere wichtige Potenziale hin, die durch das Bildungssystem stärker adressiert werden müssten, um das aktuelle Wohlstandsniveau angesichts der aufgezeigten Herausforderungen zu halten. „Wir müssen den Schalter zum lebenslangen Lernen umlegen“ und „Der Arbeitsmarkt muss bunter und vielfältiger werden“ war Terzenbachs Appell, der auf Rückfrage aus dem Publikum insbesondere inklusive Ansätze auch für Menschen mit Behinderung forderte.
Sprachkompetenz: mehr als Deutsch-Kenntnisse
Auch Ingrid Gogolin, Professorin an der Universität Hamburg, bezog sich in ihrer Key Note auf die Notwendigkeit von Zuwanderung zur Fachkräftesicherung und legte einen besonderen Schwerpunkt auf die sprachlichen Ressourcen von Menschen mit nichtdeutscher Herkunftssprache.
Aufgrund des Bahnstreiks war Prof. Dr. Ingrid Gogolin via
Livestream aus Hamburg zur Veranstaltung zugeschaltet.
Dabei ging sie insbesondere auf Missverständnisse und Mythen rund um das Thema Mehrsprachigkeit ein. Dazu gehöre etwa die Vorstellung, dass Sprechen einer nichtdeutschen Herkunftssprache im Alltag den Erwerb der deutschen Sprache gefährde und damit den Erfolg im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt. Dabei werde der Wert der Herkunftssprache für das Erlernen des Deutschen vernachlässigt.
Dabei gelte, so Gogolin: „Jede Spracherfahrung geht in die nächste Sprachlernerfahrung ein. Wer vorherigen Spracherwerb ignoriert, ignoriert zentrale Ressourcen.“ Dementsprechend zeige sich in Untersuchungen in der Sekundarstufe, dass diejenigen Schülerinnen und Schüler mit der besten Beherrschung ihrer Herkunftssprache auch Deutsch am besten beherrschten. Wichtig sei daher, Mehrsprachigkeit nicht zu unterdrücken, sondern zu fördern, um gesellschaftliche Teilhabe und Beschäftigung zu ermöglichen. Abschließend rief sie dem Publikum ins Gedächtnis: „Bildung ohne Sprache ist nicht möglich, aber Bildung ohne Deutsch schon – und das fast überall auf der Welt“
Titelbild: © Stadt Nürnberg, Petra Kellner
Beitragsbilder: Stadt Nürnberg, Rudi Ott.
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