Am 30.7.2025 war es wieder so weit: Schülerinnen und Schüler aus der Berufsvorbereitungs- (BVJ) und Berufsintegrationsklassen (BIK) der Berufsschule 6 (B 6) erlebten großen Applaus für ihre Theateraufführung. In den BVJ-Klassen werden Jugendliche ohne Ausbildungsplatz unterrichtet, in den BIK lernen neu zugewanderte junge Menschen Deutsch und werden schrittweise ins Berufs- und Bildungssystem integriert. Der Theaterworkshop wird seit sieben Jahren in Zusammenarbeit mit dem Objektif Kunst-, Kultur-und Theaterhaus durchgeführt. Die zuständige Lehrerin Tugba Ülkü der B6 berichtet uns im Interview über Hintergründe und Erfolge.
Frau Ülkü, warum braucht es überhaupt kulturelle Bildung an der Berufsschule? Geht es in der Berufsvorbereitung nicht vor allem um das Sprache lernen und um Berufsorientierung?
Gerade weil es in den BIK- und BVJ-Klassen um Sprache, schulische Stabilisierung und Berufsorientierung geht, ist kulturelle Bildung – insbesondere Theaterpädagogik – ein wirksames Instrument. Theater ist ein ganzheitlicher Bildungsansatz, der Sprach-, Persönlichkeits- und Wertebildung miteinander verbindet und Teilhabe ermöglicht. In einem geschützten Raum können sich die Jugendlichen ausdrücken und Selbstwirksamkeit erleben. Sie gewinnen an Selbstbewusstsein, Mut und Kommunikationsfähigkeit. Besonders wichtig: Die Jugendlichen entwickeln ihr Theaterstück selbst, lernen dabei Texte zu verfassen und sich kreativ auszudrücken – eine Übung für Schule, Beruf und demokratisches Handeln.
Wer sind die Teilnehmenden des Projekts? Wie arbeiten Sie zusammen?
Teilnehmende sind Schülerinnen und Schüler aus Berufsvorbereitungs- und Berufsintegrationsklassen der Berufsschule 6 in Nürnberg. Die Workshops und Proben leitet Theaterpädagoge Cihan Kente vom Objektif Kunst-, Kultur- und Theaterhaus e. V. Durch seine offene, wertschätzende Arbeit begegnet er den Schülerinnen und Schüler auf Augenhöhe und schafft Raum für Vertrauen und persönliche Entwicklung. Jede Klasse beginnt mit einem Workshop, der Impulse zur Auseinandersetzung mit Identität, Demokratie und Werten setzt. Theater wird so zum Erfahrungsraum, in dem die Schüler/-innen Denken und Verhalten reflektieren lernen. Aus dem Workshop entstehen Ideen, die im Unterricht zu Szenen entwickelt, geprobt und öffentlich aufgeführt werden.
Ist das ein freiwilliges Angebot? Wie reagieren die Schülerinnen und Schüler auf das Thema „Theater machen“?
Die Teilnahme ist verpflichtend – doch aus anfänglicher Skepsis entsteht bei vielen echte Begeisterung. Gerade zu Beginn ist „Theater machen“ ungewohnt, manche haben Vorbehalte oder Ängste. Doch durch spielerischen Einstieg, Körperarbeit und Improvisation sinkt die Hemmschwelle. Es geht weniger ums klassische Schauspiel, sondern darum, gemeinsam etwas zu schaffen.

Was war der Anlass für das 1. Theaterprojekt? Wie ging es weiter und wo stehen Sie heute?
Das erste Projekt entstand vor sieben Jahren aus der Überzeugung, dass junge Menschen mehr brauchen als reinen Sprach- oder Fachunterricht – nämlich Räume für Begegnung, Ausdruck und Selbstermächtigung. Die positive Resonanz der Schüler/-innen, Lehrkräfte und des Publikums bestärkte uns, das Projekt jährlich fortzuführen. Inzwischen ist es fest etabliert, gut vernetzt, mehrfach ausgezeichnet und wächst stetig weiter.
Woran erinnern Sie sich besonders gerne, was war vielleicht besonders eindrücklich?
Die meisten Schüler/-innen wachsen mit jeder Stunde mehr in ihre Rolle hinein und sind am Ende stolz, auf der Bühne zu stehen. Ein besonders bewegender Moment war, als ein Schüler, der zu Beginn kaum ein Wort gesprochen hat, am Ende mit fester Stimme einen Monolog vor vollem Saal hielt – und anschließend sagte: „Ich habe gelernt, dass ich nicht unsichtbar bin.“ Solche Momente zeigen, wie viel Theater bewirken kann.
Was war das Thema des aktuellen Theaterstücks? Wie ist es entstanden?
Das aktuelle Theaterstück entstand aus dem Thema „Was ist ein gutes Leben?“, eine Frage, die die Schüler/-innen zunächst sehr individuell beantwortet haben. In den Proben wurden daraus gemeinsame Motive wie Freiheit, Gleichberechtigung, Familie, Sicherheit, Bildung und Zusammenhalt. Die Szenen entwickelten sich aus biografischen Erzählungen, Improvisationen und Gruppendiskussionen.
Viele der Schüler/-innen sind noch im Prozess des Deutschlernens. Wie funktioniert Theater in dieser Situation?
Theater funktioniert nicht über perfekte Grammatik, sondern über Körpersprache, Ausdruck, Emotion, Improvisation. Oft sind nonverbale Elemente viel kraftvoller als Worte. Der gemeinsame theatrale Prozess ist stark körperlich und visuell orientiert. Dadurch wird Sprache nicht nur gelernt, sondern erlebt. Zudem werden Texte gemeinsam erarbeitet, umgeschrieben, geprobt. Dabei entwickeln die Schüler/-innen ein Gefühl für Sprachrhythmus, Ausdruck und Wirkung.
60 junge Menschen gemeinsam auf der Bühne, das geht sicher nicht ohne Konflikte ab?
Konflikte, sowohl die im Miteinander wie die im Inneren der Teilnahmenden, werden im Theaterprozess bewusst sichtbar gemacht und thematisiert – so entstehen wertvolle Lernmomente für alle Beteiligten. Begleitet werden die Jugendlichen durch theaterpädagogische Methoden, die deeskalierend, reflektierend und wertschätzend wirken und so wichtige Impulse für persönliche Entwicklung und gemeinsames Lernen setzen.
Kann die berufliche Bildung etwas vom Theater lernen?
Theater fördert Fähigkeiten, die auch im Berufsleben entscheidend sind: Teamarbeit, Empathie, Konfliktfähigkeit, Selbstreflexion, klare Kommunikation. Theater lehrt, präsent zu sein, Verantwortung zu übernehmen und konstruktiv mit Kritik umzugehen. Es kann helfen, Hemmungen abzubauen und Potenziale zu entfalten. Also genau das, was berufliche Bildung ergänzen und verstärken sollte.
Welche Tipps würden Sie anderen Schulen geben, die ein ähnliches Projekt starten möchten?
Suchen Sie sich starke Kooperationspartner mit theaterpädagogischer Erfahrung. Schaffen Sie verbindliche Strukturen. Theater braucht Zeit und Raum. Geben Sie Ihren Schüler/-innen Vertrauen, auch wenn der Anfang holprig ist. Wichtig ist nicht das perfekte Ergebnis, sondern der gemeinsame Prozess. Und: Bleiben Sie dran. Es lohnt sich – für jeden einzelnen Jugendlichen und für das Schulleben insgesamt.

Theaterpädagogik … wirkt auch an Mittelschulen:
Kurz vor der beschriebenen Theateraufführung hatten auch die 43 Schülerinnen und Schüler der IBOS-Abschlussklassen aus den Mittelschulen Scharrerschule und Hummelsteiner Weg einen großen Auftritt an der IBOS-Abschlussveranstaltung im Heilig-Geist-Saal.
In einem kurzen Stück, das sie mit der Theaterpädagogin Lisa Stützer erarbeitet hatten, konnten sie ihre ganz persönlichen Erfahrungen ihrer Schulzeit sichtbar und erlebbar machen. So standen sie – ebenso wie die älteren Schüler/-innen aus BVJ und BIK – stolz auf der Bühne und endeten selbstbewusst und klar mit dem Satz „Und jetzt geht es erst richtig los. Hallo Leben!“
Mehr zur theaterpädagogischen Arbeit von Lisa Stützer lesen Sie hier: https://www.lisastuetzer.de/aktuelles/
Beitragsbild © Stadt Nürnberg, Berufliche Schule 6.
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