Im Juni erschien der 10. Nationale Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2024“, der alle zwei Jahre veröffentlicht wird und Auskunft über die Gesamtentwicklung des deutschen Bildungswesens gibt. Erstellt wird er durch eine unabhängige Autor/-innengruppe auf Basis von amtlichen Statistiken sowie sozialwissenschaftlichen Daten und Studien. Im Bericht wird neben Grundinformationen zu den Ausgaben und dem Personal sowie zu Bildungsverläufen ein Überblick über die verschiedenen Bildungsbereiche gegeben. Bei der aktuellen Ausgabe liegt der Fokus auf der beruflichen Bildung (siehe auch Blogbeitrag „Der erste Schritt nach der Schulausbildung: Einmündung in das Berufsbildungssystem“). Der Bildungsbericht bietet damit eine datenbasierte Grundlage, um bildungspolitische Herausforderungen zu erkennen und eine sachorientierte Diskussion zu ermöglichen.
Expansion des Bildungssektors
Zu den wichtigsten Befunden zählt, dass sich der Bildungssektor vergrößert. Im Allgemeinen gibt es mehr Bildungsteilnehmende in mehr Bildungseinrichtungen mit mehr Beschäftigten. Ein Beispiel für die Expansion wäre der frühkindliche Bereich mit dem Ausbau der Kindertagesstätten. Im Berichtsjahr 2022 waren dort etwa 700.000 pädagogisch tätige Personen beschäftigt, ein Anstieg von 54 % innerhalb von zehn Jahren. Die Anzahl der Kindertageseinrichtungen stieg in diesem Zeitraum um 14 %. Entsprechend haben sich die gesamten Bildungsausgaben in absoluten Zahlen erhöht. Sie stiegen in dem genannten Zeitraum um 46 % auf 264 Milliarden Euro. Im Verhältnis zur Wirtschaftskraft zeigt sich allerdings kaum eine Erhöhung. Im Jahr 2022 entsprachen die Ausgaben 6,8 % des Bruttoinlandprodukts und somit lediglich 0,2 Prozentpunkte mehr als zehn Jahre zuvor.
In verschiedenen Bildungsbereichen wird eine wachsende Heterogenität der Bildungsteilnehmenden festgestellt. Dies hat unterschiedliche Dimensionen. Die Zuzüge von Menschen aus dem Ausland nach Deutschland sind in den vergangenen zehn Jahren angestiegen. So lag das Zuwanderungssaldo bei den unter 20-Jährigen im Jahr 2012 bei 87.567 Personen, im Jahr 2022 waren dies 506.503 Personen. Auch verlassen mehr junge Menschen die Schule ohne Abschluss. Lag der Anteil 2021 noch bei 5,9 %, stieg er im Jahr 2021 leicht auf 6,2 % und im Jahr 2022 auf 6,9 %. Im Bereich der Hochschulbildung steigt die Heterogenität der Studierenden ebenfalls. Jede/r vierte Studierende an öffentlichen Hochschulen hat bereits einen beruflichen Abschluss.
Soziale Disparitäten bestehen fort
Ein Befund aus vorherigen Berichten zeigt sich erneut, Bildungserfolg und -teilnahme sind weiterhin stark abhängig von der sozioökonomischen Herkunft. Beispielsweise werden Kindertageseinrichtungen trotz ähnlicher Bedarfe der Eltern wahrscheinlicher von Kindern ohne Migrationshintergrund besucht. Insbesondere bei den 3- bis unter 6-jährigen nahm die Besuchsquote bei den Kindern mit Migrationshintergrund sogar ab. Unterrepräsentiert sind ebenfalls Kinder, die mit ihren Müttern aus der Ukraine fliehen mussten.
Unterschiede aufgrund von Herkunftsmerkmalen zeigen sich auch beim Übergang nach der Grundschule: so hatten im Jahr 2021 über drei Viertel der Kinder aus Familien mit hohem sozioökonomischen Status eine Gymnasialempfehlung, wohingegen für Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status dies für weniger als ein Drittel zutraf. Ein Unterschied zwischen Kindern aus akademisch gebildeten und nicht akademisch gebildeten Elternhäusern zeigt sich bei der Teilnahme an hochschulischer Bildung. Bei erstgenannter Gruppe nehmen 78 von 100 ein Studium auf, bei der zweiten Gruppe sind es lediglich 25 von 100 Kindern.
Zwar gibt es grundsätzliche eine hohe Weiterbildungsbeteiligung in der Bevölkerung (83 % der Erwachsenen haben laut Selbstangabe ein non-formales oder formales Bildungsangebot in den vorangegangenen 12 Monaten wahrgenommen), Unterschiede lassen sich aber je nach vorhandenem Bildungsabschluss ausmachen. Ohne bzw. mit erstem Schulabschluss lag die Quote 2022 bei 70,1 %, mit mittlerem Schulabschluss bei 81,8 % und mit Fach- oder Hochschulreife sogar bei 92,9 %.
Fachkräftemangel vor allem im frühkindlichen und schulischen Bereich
Der Fachkräftemangel ist bei der quantitativen und qualitativen Ausgestaltung von Bildungsangeboten eine große Herausforderung. Er zeigt sich besonders im frühkindlichen und im Schulbereich. Durch die steigende Zahl der Kindertageseinrichtungen wuchs der Bedarf an pädagogisch Tätigen. Hier sind in Deutschland rund 700.000 Menschen beschäftigt, was einem Anstieg um 54 % innerhalb von zehn Jahren entspricht. Momentan wird in Westdeutschland bis ins Jahr 2035 ein Personalmangel prognostiziert.
Im Schulwesen versucht man sich mit Lehrkräften im Rentenalter oder aus dem Ausland, mit Seiteneinsteiger/-innen (kein Lehramtsstudium und kein Referendariat) und Quereinsteiger/-innen (kein Lehramtsstudium, aber Pflicht eines Referendariats) zu behelfen. Die Regelungen und Möglichkeiten unterscheiden sich dabei zwischen den Bundesländern. Im Schuljahr 2022/23 waren an allgemeinbildenden Schulen in Bayern 690 Lehrkräfte im Rentenalter, die ihren Schuldienst verlängerten oder aus dem Ruhestand zurückkehrten, tätig (Kuhn, 2023). Im Vergleich zu anderen Bundesländern spielen die 54 neueingestellte Seiteneinsteiger/-innen im Jahr 2023 (dies entspricht einem Anteil von 1,3 %) eine geringere Rolle.
Konkrete politische und pädagogische Handlungsempfehlungen formuliert die Autor/-innengruppe nicht, verweist aber auf die Bedeutung der identifizierten Handlungsfelder für die qualitätsvolle Weiterentwicklung des Bildungssystems. Die Bildungsexpert/-innen betonen noch dazu den Vorteil von strukturell verankerten Konzepten im Vergleich zu Förderprogrammen. Außerdem sind sie dafür, möglichst früh in der Bildungsbiographie Kompetenzdefizite zu adressieren, am besten bereits im frühkindlichen Bereich.
Quellen:
Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, Bildung in Deutschland 2024. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu beruflicher Bildung, Bielefeld 2024. Abrufbar unter Bildung in Deutschland 2024 — Bildungsbericht.
Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung, Bildung in Deutschland 2024. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu beruflicher Bildung, Tabellenanhang, Bielefeld 2024. Abrufbar unter Daten 2024 — Bildungsbericht.
Bundesministerium für Bildung und Forschung 2024, Bildung in Deutschland. Nationaler Bildungsbericht erschienen. Abrufbar unter Nationaler Bildungsbericht erschienen – BMBF.
Das Deutsche Schulportal 2024, Mehrheit der Länder wirbt gezielt um Lehrkräfte im Pensionsalter. Abrufbar unter Fast alle Bundesländer werben gezielt um pensionierte Lehrer (deutsches-schulportal.de) [letzter Zugriff: 26.07.2024]
Titelbild: © Bildung in Deutschland 2024 (Bildausschnitt).
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