Francis Seeck ist Professor*in für Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Demokratie- und Menschenrechtsbildung an der Technischen Hochschule Nürnberg und arbeitet seit 2010 als Antidiskriminierungstrainer*in und politische Bildner*in. Mit dem Bildungsbüro spricht Seeck über die Ergebnisse des Citizen-Science-Projekts „Nürnberg forscht“, das sich in seiner ersten Forschungseinheit mit Rassismus beschäftigt hatte. Francis Seecks Arbeitsschwerpunkte sind Klassismuskritik, politische Bildung, Antidiskriminierung und menschenrechtsorientierte Soziale Arbeit. Im Interview mit dem Bildungsbüro spricht Seeck über die Ergebnisse des Citizen-Science-Projekts „Nürnberg forscht“.
Die erste Forschungsgruppe des Projekts hatte sich als Forschungsthema Rassismus ausgesucht. Dabei interessierte die Mitforschenden die Frage, wie sich Menschen verhalten, die in Nürnberg Rassismus erleben. Wie bewerten Sie die Ergebnisse dieser qualitativen Untersuchung, Francis Seeck?
Beim Lesen des Berichts hat mich zunächst das Ausmaß von rassistischen Strukturen in Nürnberg schockiert, und wie viel Arbeit Betroffene leisten, um mit Rassismus umzugehen und was für eine Kraft und Zeit da reinfließt. Dazu möchte ich gerne das Quix Kollektiv zitieren, deren Antidiskriminierungsarbeit sich entlang unterschiedlicher Unterdrückungskategorien orientiert. Die Autor*innen zeigen auf, dass neben individuellen und gruppenbezogenen rassistischen Denkmustern und Handlungen rassistische Strukturen in Institutionen und staatlichen Regelungen verankert sind und in ihnen reproduziert und aufrechterhalten werden. Und dem kann ich mich nur anschließen.
Könnten Sie das näher erläutern?
Ihre Untersuchung geht ja auf diese Ebenen ein, die Rassismus wie auch andere Formen der Diskriminierung haben: Auf der interpersonellen Ebene zeigen sich rassistische Vorurteile, Stereotypen oder Alltagsrassismus. Es gibt aber noch die institutionelle und strukturelle Ebene. Und da kann es um gesetzliche Regelungen gehen, um das Bildungssystem als solches. Ein Bildungssystem, das sehr früh selektiert, sodass gerade dort Menschen, die Rassismus und Klassismus erleben, dann oft rausfallen. Daneben gibt es die historische Ebene, die bei Rassismus natürlich sehr wichtig und wirkmächtig ist, wie beispielsweise kolonialistische Strukturen, also die Geschichte vom Kolonialismus und wie das bis heute fortwirkt.
Die Rassismusforschung unterteilt auch in unterschiedliche Typen von Rassismus.
Ja, genau, beispielsweise in Anti-Muslimischer Rassismus, Anti-Schwarzen Rassismus, Anti-Asiatischen Rassismus und Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze.
Was fiel Ihnen bei der vorliegenden Untersuchung besonders auf?
In den Interviews wurde häufig die verinnerlichte Ebene von Diskriminierung deutlich. Wir wissen aus der Forschung, dass viele Menschen, die Diskriminierung erleben, stigmatisierende Vorurteile in ihr Selbstbild übernehmen Also beispielsweise die eigene Sprache, die eigene Kultur, die eigene Bildungserfahrung – und sich selbst abwerten. Daneben konnte ich an vielen Stellen intersektionale Verschränkungen erkennen, also die Überschneidung zwischen unterschiedlichen Formen der Diskriminierung, beispielsweise Sexismus, Rassismus oder Klassismus.
Wie hängen Klassismus und Rassismus zusammen?
Dies lässt sich gut mit den Theorien von dem Soziologen Pierre Bourdieu erklären. Rassismus schränkt häufig den Zugang zu ökonomischem Kapital ein. Menschen, die Rassismus erfahren, verdienen oft weniger und haben weniger Zugang zu Vermögen und Eigentum. Auch der Zugang zu Bildungsabschlüssen wird durch rassistische Strukturen erschwert.
Interessanterweise haben einige der in der Untersuchung Befragten einen hohen Bildungsabschluss.
Darin liegt die Krux: Viele Menschen, die nach Deutschland migrieren, haben zwar eine hohe formelle Bildung, diese wird in Deutschland aber häufig nicht anerkannt.
Oder bei der Wohnungssuche. Hier nannten befragte Betroffene ihren Nachnamen als K.o.-Kriterium.
Der Einfluss von rassistischen Strukturen auf die Chancengleichheit ist immens. So können Nachnamen oder Vornamen alleine schon diskriminierende Effekte haben. Wir wissen, dass Menschen, deren Nachname als „nicht-deutsch“ gelesen wird, schlechtere Chancen haben – ob in Bewerbungsgesprächen oder auf dem Wohnungsmarkt.
Und wie kann man Rassismus abbauen?
Also aus der Perspektive der Antidiskriminierungspädagogik geht es zum einen darum, Rassismus als Diskriminierungsform zu erkennen, zu benennen und zu analysieren. Rassimsuserfahrungen werden oft abgesprochen oder relativiert. Wir sollten schauen, wie sich rassistische Strukturen transformieren lassen. Tupoka Ogette gibt in ihrem Buch „Exit Racism“ wichtige Impulse.
Neben der persönlichen Fortbildung in Sachen Rassismuskritik gehörte das Empowerment zu den Verhaltensstrategien der befragten Betroffenen. Sehen Sie darin einen Weg, gegen Rassismus anzugehen?
Empowerment ist ein Begriff aus Sozialen Bewegungen, der sich als Selbstermächtigung beschreiben lässt. Ich habe „Nürnberg forscht“ auch so verstanden, dass es unter anderem darum geht, einen Raum für Empowerment in der Forschung umzusetzen. Das ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, um Räume aufzubauen in denen Erfahrungen mit Rassismus ausgetauscht und sichtbar gemacht werden können. Die größte Herausforderung liegt wohl darin, die Menschen ins Boot zu holen, die rassistisch handeln. Sie bleiben meist unsichtbar. Dabei ist es ja gerade: der strukturelle Rassismus in Behörden, auf dem Wohnungsmarkt, im Bildungssystem, im Justizsystem, in der Wohnungslosenhilfe oder Jugendhilfe. Hier ist es wichtig, mit politischer Bildungsarbeit beharrlich Impulse zu setzen und aufzuklären.
Weitere Informationen zu Francis Seeck: www.francisseeck.net
Nürnberg forscht: NueForscht – Nürnberg forscht (nuernberg.de)
Bildnachweis: © Philipp Arnoldt.
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